Der Meister d e s H a u s b u c h e s
dessen klare, hellbeleuchtete Rundung scharf vom leeren Grunde absticht. Statuenhafte Ruhe umfängt die
Bewegung des Pferdes, das Neigen des Reiters und die flehentliche Gebärde des Bettlers. Ein Schritt weiter
führt zu dem berühmten Blatte mit der sich kratzenden Bulldogge (L 78). Wenn irgendwo, so hat man
hier ein Gegenstück zu der brutalen Derbheit der Hirsch ersehen Tafeln. Die gedrungene Kraft des
Tieres kommt beim Kratzen zu höchster Geltung, da der massige Körper sich einrollen muß, bis die leder-
artige Haut dicke Falten schlägt. Gefährliche Wildheit spricht aus dem Kopfe und bestätigt den Raubtier-
charakter der Glieder. Jetzt konzentrieren sich die Schraffuren stärker in den Schattenlagen und ermöglichen
so die Durchführung dieses muskulösen Leibes. Zweifellos geht der „kratzende Hund" Peter Vischers auf das
vorliegende Blatt zurück, da die Hauptansicht mit der komplizierten Verschränkung genau wiederkehrt und
nur die Einrollung aus der flächenhaften in die räumliche Vorstellung übertragen ist. Möglicherweise bestanden
sogar persönliche Beziehungen zwischen dem Hausbuchmeister und der Vischerschen Familie, die den Stich
als Geschenk erhalten haben könnte. Jedenfalls kann es sich nur um eines der letzten Erzeugnisse des Nürn-
berger Aufenthaltes handeln, das in den Anfang des Jahres 1477 gehören dürfte31.
Ein Intermezzo aus der Jagd hat L 71 festgehalten. Zwei | ä g e r b u r s c h e n unterhalten sich, wahr-
scheinlich über eine neu entdeckte Spur. Der mit dem Hunde ist ganz Ohr, während der andere ihn lebhaft
zuredend an der Schulter packt, denn er soll mitkommen. Mit großer Sicherheit wird jetzt ein so schwieriges
Gebilde wie der geschlitzte und punktierte Ärmel des hinteren Jägers durchgearbeitet. Entsprechend präzise
sind die Formangaben der Schenkel, Taillen und Federmützen, wie überhaupt die ausführliche Durchzeichnung
aller Details einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der großformigen Plastik von L 38 und L 78 bedeutet.
Es bedarf kaum der Erwähnung, daß dieselbe Entwicklung im Hausbuche die Ulmer von der Nürnberger
Gruppe trennte, daß mithin 1477/78 als annäherndes Datum und Ulm als Entstehungsort anzunehmen ist. Ein
wahres Virtuosenstück in dieser Richtung und zugleich der Endpunkt dieser Entwicklung ist das Wappen
mit der Garnhasplerin (L 87). Es gehört zur Gruppe der sogenannten Spottwappen, in denen die
Titelsucht der Zeit gegeißelt wird. Während oben ein struppiger Vogel wie ein Pleitegeier krächzend die
Flügel schlägt, sieht man im Bilde ein ausgemergeltes altes Weib beim Garnhaspeln beschäftigt, vielleicht die
Urahne des stolzen Geschlechtes, dem dieses Wappen angehört. Mit fast grabstichelgemäßer Schärfe und
Eleganz ist das dichte Gefieder des Vogels und das spiralig sich windende Bandelwerk durchgeführt, ebenso
die prachtvoll räumliche Form des Helmes.
Ein Turnier sehr eigener Art zeigt L 53, wo zwei wilde Männer mit ausgerissenen Baumstämmen
einander berennen. Es sind zottige Waldmenschen, die sich auf eine wahrhaft furchterregende Art in züngeln-
des Bandelwerk gehüllt haben, das ihnen und den Pferden ein phantastisches Aussehen verleiht. Wie ihre
Helmzier beweist, gehören sie dem Geschlechte derer von Radi und Knoblauch an. Nur eine ganz unmittel-
alterliche Freiheit von aller Tradition konnte ein solches Werk schaffen, in dem sich überlegener Humor mit
scharfer Satire paart. Uralte Erzeugnisse der Volksphantasie verlieren jetzt ihren dämonischen Charakter;
31 In diese früheste Gruppe gehören außerdem I. 5—6, 19, 22, 26—27, 29, 31—.32, 41, 44—45, 50—51, 55, 59—61,
67, 72, 79—83 u. 89- L 78 wurde von Hubert Stierling als Vorbild für den kratzenden Hund Peter Vischers nachgewiesen
(Monatsh. f. Kunstgesch. 13. Jahrg., S. 213). Weitere Beziehungen zu Nürnberg und der dort entstandenen Gruppe von Haus-
buchmeisterwerken liegen darin, daß L 50 in der Schedelschen Weltchronik von 1493 teilweise kopiert wurdegLeo Baer, Die
illustrierten Historienbücher des 15. Jahrhunderts, S. 178, Anm. 405) und daß L 67 den entblätterten Baum aufweist, sowie in
dem Jäger am rechten Rande ein Gegenstück zu Malchus auf der Kölner Gefangennahme.
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dessen klare, hellbeleuchtete Rundung scharf vom leeren Grunde absticht. Statuenhafte Ruhe umfängt die
Bewegung des Pferdes, das Neigen des Reiters und die flehentliche Gebärde des Bettlers. Ein Schritt weiter
führt zu dem berühmten Blatte mit der sich kratzenden Bulldogge (L 78). Wenn irgendwo, so hat man
hier ein Gegenstück zu der brutalen Derbheit der Hirsch ersehen Tafeln. Die gedrungene Kraft des
Tieres kommt beim Kratzen zu höchster Geltung, da der massige Körper sich einrollen muß, bis die leder-
artige Haut dicke Falten schlägt. Gefährliche Wildheit spricht aus dem Kopfe und bestätigt den Raubtier-
charakter der Glieder. Jetzt konzentrieren sich die Schraffuren stärker in den Schattenlagen und ermöglichen
so die Durchführung dieses muskulösen Leibes. Zweifellos geht der „kratzende Hund" Peter Vischers auf das
vorliegende Blatt zurück, da die Hauptansicht mit der komplizierten Verschränkung genau wiederkehrt und
nur die Einrollung aus der flächenhaften in die räumliche Vorstellung übertragen ist. Möglicherweise bestanden
sogar persönliche Beziehungen zwischen dem Hausbuchmeister und der Vischerschen Familie, die den Stich
als Geschenk erhalten haben könnte. Jedenfalls kann es sich nur um eines der letzten Erzeugnisse des Nürn-
berger Aufenthaltes handeln, das in den Anfang des Jahres 1477 gehören dürfte31.
Ein Intermezzo aus der Jagd hat L 71 festgehalten. Zwei | ä g e r b u r s c h e n unterhalten sich, wahr-
scheinlich über eine neu entdeckte Spur. Der mit dem Hunde ist ganz Ohr, während der andere ihn lebhaft
zuredend an der Schulter packt, denn er soll mitkommen. Mit großer Sicherheit wird jetzt ein so schwieriges
Gebilde wie der geschlitzte und punktierte Ärmel des hinteren Jägers durchgearbeitet. Entsprechend präzise
sind die Formangaben der Schenkel, Taillen und Federmützen, wie überhaupt die ausführliche Durchzeichnung
aller Details einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der großformigen Plastik von L 38 und L 78 bedeutet.
Es bedarf kaum der Erwähnung, daß dieselbe Entwicklung im Hausbuche die Ulmer von der Nürnberger
Gruppe trennte, daß mithin 1477/78 als annäherndes Datum und Ulm als Entstehungsort anzunehmen ist. Ein
wahres Virtuosenstück in dieser Richtung und zugleich der Endpunkt dieser Entwicklung ist das Wappen
mit der Garnhasplerin (L 87). Es gehört zur Gruppe der sogenannten Spottwappen, in denen die
Titelsucht der Zeit gegeißelt wird. Während oben ein struppiger Vogel wie ein Pleitegeier krächzend die
Flügel schlägt, sieht man im Bilde ein ausgemergeltes altes Weib beim Garnhaspeln beschäftigt, vielleicht die
Urahne des stolzen Geschlechtes, dem dieses Wappen angehört. Mit fast grabstichelgemäßer Schärfe und
Eleganz ist das dichte Gefieder des Vogels und das spiralig sich windende Bandelwerk durchgeführt, ebenso
die prachtvoll räumliche Form des Helmes.
Ein Turnier sehr eigener Art zeigt L 53, wo zwei wilde Männer mit ausgerissenen Baumstämmen
einander berennen. Es sind zottige Waldmenschen, die sich auf eine wahrhaft furchterregende Art in züngeln-
des Bandelwerk gehüllt haben, das ihnen und den Pferden ein phantastisches Aussehen verleiht. Wie ihre
Helmzier beweist, gehören sie dem Geschlechte derer von Radi und Knoblauch an. Nur eine ganz unmittel-
alterliche Freiheit von aller Tradition konnte ein solches Werk schaffen, in dem sich überlegener Humor mit
scharfer Satire paart. Uralte Erzeugnisse der Volksphantasie verlieren jetzt ihren dämonischen Charakter;
31 In diese früheste Gruppe gehören außerdem I. 5—6, 19, 22, 26—27, 29, 31—.32, 41, 44—45, 50—51, 55, 59—61,
67, 72, 79—83 u. 89- L 78 wurde von Hubert Stierling als Vorbild für den kratzenden Hund Peter Vischers nachgewiesen
(Monatsh. f. Kunstgesch. 13. Jahrg., S. 213). Weitere Beziehungen zu Nürnberg und der dort entstandenen Gruppe von Haus-
buchmeisterwerken liegen darin, daß L 50 in der Schedelschen Weltchronik von 1493 teilweise kopiert wurdegLeo Baer, Die
illustrierten Historienbücher des 15. Jahrhunderts, S. 178, Anm. 405) und daß L 67 den entblätterten Baum aufweist, sowie in
dem Jäger am rechten Rande ein Gegenstück zu Malchus auf der Kölner Gefangennahme.
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