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Oberrheinische Kunst — 5.1931-1932

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Bauch, Kurt: Schongauers Frühwerke
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https://doi.org/10.11588/diglit.61859#0179
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Schongauers Frühwerke
Von Kurt Bauch
Zwei neue Feststellungen machen eine neue Diskussion über Schongauers Frühstil notwendig. Ernst
Buchner erkannte, daß die Jahreszahl auf dem Münchner Bildnis Schongauers nicht 1483, wie man bisher meist
las, sondern 1453 lautet1. Ilse Fütterer wies nach, daß der von der Familie Stauffenberg gestiftete Altar der
Isenheimer Klosterkirche vor dem Jahr 1460 entstanden sein muß2.
Dieser Altar, der jetzt im Unterlindenmuseum in Colmar bewahrt wird, ist eines der bedeutendsten
und wichtigsten Werke der deutschen Malerei jener Zeit.
Die Mitteltafel (Abb. 5) zeigt die Gottesmutter mit dem toten Heiland auf dem Schoß, dahinter
das Kreuz und die Marterwerkzeuge. Diese eindrucksvolle, schon ikonographisch in der Malerei seltene Dar-
stellung ist in einem sehr eigenartigen Stil verwirklicht. Zwar ist der Erhaltungszustand schlecht. Der Katalog
(1925, unter Nr. 39) bezeichnet das Bild als „übermalt”. Vielleicht sind die starken Veränderungen der
Komposition auch Reuezüge: der Kopf der Maria war nach links breiter, das rechte Bein Christi lag höher,
alle Glieder des Leichnams zeigen innerhalb der Konturen noch andere frühere. So läßt sich schwer etwas
über den Stil sagen, der in seiner heutigen Erscheinung ein eigentümliches Derivat von Rogers Kunst ist.
Alle Elemente stammen von dort, aber nichts ist zu spüren von Rogers fließend feinem Rhythmus, vom
Ineinandergreifen der Gedanken, Gegenstände und Formen, von der vornehm zarten Bildung aller Figuren,
der sicheren und folgerichtigen Projektion alles Dargestellten. Vielmehr bedeutet diese Umformung, ähnlich
wie in manchen Spätwerken des Petrus Christus, ein spezifisches Mißverstehen Rogers. Mit seinen Schöpfungen
verglichen erscheint die Silhouette eher trocken, die Gegenstände vereinzelt, das Gesamtornament stumpf,
die hölzernen, eckigen Glieder uneinheitlich in die Fläche gebracht, so daß Hände und Füße verdreht, die
Nase zwischen den vorgewölbten, geschlossenen Augen windschief erscheint.
Die Flügel unterscheiden sich jedoch wesentlich von dem Mittelbild. Ihre Innenseiten stellen —gleich-
falls vor Goldgrund — die Verkündigung an Maria und die Anbetung des Kindes durch das heilige Eltern-
paar dar (Abb. 3 und 4). Außen sieht man links Johannes und Maria nebeneinander vor dunkelblauem,
gestirntem Grund. Beide wenden sich nach rechts, wo auf der anderen Flügelrückseite der Crucifixus erscheint
— wieder eine ikonographisch-kompositionelle Besonderheit, die wohl auf Rogers Doppeltafel, jetzt Sammlung
Johnson, Philadelphia, zurückzuführen ist. Nur knien hier beiderseits des Kreuzes der Stifter und seine Frau
mit schön bewegten Spruchbändern (Abb. 1 und 2).
Die Erhaltung dieser Tafeln ist viel besser als die des Mittelstückes, sie sehen ganz anders aus. Manches
ist beschädigt, einiges verloren gegangen, aber Übermalungen scheinen — entgegen der Ansicht Fütterers —
an den Figuren zu fehlen. Der Vortrag ist eigentümlich schlicht und direkt, dabei von großer Sicherheit und
Feinheit. So ist hier der künstlerische Charakter weit unmittelbarer zu erkennen.

1 Beitr. z. Gesch. d. deutschen Kunst, Bd. II, 1928, S. 16 ff., m. Abb.

2 Oberrheinische Kunst II, 1926/27, S. 15 ff.

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