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Roller
dem Verfassungsvorbild Roms. Die Vororte der oberrheinischen civitates hatten
zwar städtischen Charakter, doch ist bislang für keinen eine Rechtsstellung etwa
als municipMm belegt. Wir möchten annehmen, daß es zumeist viel waren, die in
ihrem jorum die Bauten der civitates, wie z. B. die curia aufgenommen hatten.
Leider fehlt bisher eine eingehende Untersuchung und Ausgrabung eines solchen
Ortes, vor allem seiner öffentlichen Gebäude in unserem Raum völlig. Haupt-
grund dafür ist natürlich die Tatsache, daß alle uns als Vorort einer civitas be-
kannten vici unter heutigen Siedlungen liegen, also der Archäologie nur schwer
zugänglich sind. So gut wir über die civitas als solche Bescheid wissen, so schwierig
erweist es sich bis zur Stunde, das Verhältnis zwischen civitas und sicher vorhan-
denen kleineren Verwaltungseinheiten bzw. Siedlungen entsprechender Größe in-
nerhalb der civitas zu klären. Eine lebhafte Diskussion in den vergangenen Jah-
ren, die noch andauert, offenbarte beträchtliche Interpretationsschwierigkeiten61.
Ebenfalls unumstritten ist die Entwicklung der civitates im Lauf der Jahrhun-
derte62. Es zeigt sich, daß in spätrömischer Zeit der Name des Territoriums auf
den Vorort übergeht, z. B. im Fall der Civitas Nemetum läßt sich im 4. Jahrhun-
dert, etwa in der Notitia dignitatum belegen, daß der Vorort — Speyer — plötz-
lich den Namen Nemetis oder Nemetum trägt. Diese Erscheinung, die sich an
vielen Beispielen zeigen läßt, geht auf eine Abschnürung des flachen Landes in
Notzeiten zurück und birgt, wie Schleiermacher kürzlich klar herausgestellt hat63,
in sich eine Vorwegnahme mittelalterlicher Herrschaftsstrukturen. Wenn auch schon
vom Beginn der römischen Okkupation an die städtische Lebensform ohne Zweifel
vorherrschend war, so erzwingen die unsicheren Verhältnisse der spätrömischen
Zeit noch eine weitere Konzentration des Lebens in den Städten. Zeitweilige wirt-
schaftliche Prosperität dürfte sogar noch im 4. Jahrhundert zu öffentlichen und
privaten Bauten mit erstaunlichem Aufwand gerade in größeren Städten geführt
haben. Interessanterweise geht jedoch parallel damit eine entsprechende Bautätig-
keit in den Villen der Großgrundbesitzer auf dem flachen Lande64. Dies scheint
uns ein wesentlicher Hinweis dafür zu sein, daß die Abschnürung der Städte vom
flachen Lande nicht ausschließlich Sicherheitsgründe hatte, sondern daß Verände-
rungen der Sozial- und, als Folge davon, der Verfassungsstruktur die Ursache
dafür waren.
Siedlungsgeschichte
Die Forschung hat schon seit längerer Zeit erkannt, daß zur Zeit der Einglie-
derung in das römische Reich der oberrheinische Raum bereits über Gallien erheb-
liche Einflüsse aus dem mittelmeerischen Hochkulturbereich empfangen hatte. Zu
den wichtigsten Errungenschaften, die so im 1. vorchristlichen Jahrhundert hier
61 Vgl. W. Schleiermacher, Civitas und Vicus, in: Provincialia — Festschrift f.
R. Laur-Belart (1968), S. 440 ff.; ebd. S. 440 Anm. 1, Zusammenstellung der älteren
T .1 i~.pt* Atm*,
62 Vgl. S. S. Frere, Civitas — a myth?, in Antiquity 35 (1961) S. 19 ff.
03 Schleiermacher (wie Anm. 61) S. 443.
64 Vgl. die Überlegungen von G. Webster zu Untersuchungen von Villae in England:
G. Webster, The Future of Villa Studies, in: The Roman Villa in Britain, edit. by
A. L. F. Rivet (1969) S. 237 ff.
Roller
dem Verfassungsvorbild Roms. Die Vororte der oberrheinischen civitates hatten
zwar städtischen Charakter, doch ist bislang für keinen eine Rechtsstellung etwa
als municipMm belegt. Wir möchten annehmen, daß es zumeist viel waren, die in
ihrem jorum die Bauten der civitates, wie z. B. die curia aufgenommen hatten.
Leider fehlt bisher eine eingehende Untersuchung und Ausgrabung eines solchen
Ortes, vor allem seiner öffentlichen Gebäude in unserem Raum völlig. Haupt-
grund dafür ist natürlich die Tatsache, daß alle uns als Vorort einer civitas be-
kannten vici unter heutigen Siedlungen liegen, also der Archäologie nur schwer
zugänglich sind. So gut wir über die civitas als solche Bescheid wissen, so schwierig
erweist es sich bis zur Stunde, das Verhältnis zwischen civitas und sicher vorhan-
denen kleineren Verwaltungseinheiten bzw. Siedlungen entsprechender Größe in-
nerhalb der civitas zu klären. Eine lebhafte Diskussion in den vergangenen Jah-
ren, die noch andauert, offenbarte beträchtliche Interpretationsschwierigkeiten61.
Ebenfalls unumstritten ist die Entwicklung der civitates im Lauf der Jahrhun-
derte62. Es zeigt sich, daß in spätrömischer Zeit der Name des Territoriums auf
den Vorort übergeht, z. B. im Fall der Civitas Nemetum läßt sich im 4. Jahrhun-
dert, etwa in der Notitia dignitatum belegen, daß der Vorort — Speyer — plötz-
lich den Namen Nemetis oder Nemetum trägt. Diese Erscheinung, die sich an
vielen Beispielen zeigen läßt, geht auf eine Abschnürung des flachen Landes in
Notzeiten zurück und birgt, wie Schleiermacher kürzlich klar herausgestellt hat63,
in sich eine Vorwegnahme mittelalterlicher Herrschaftsstrukturen. Wenn auch schon
vom Beginn der römischen Okkupation an die städtische Lebensform ohne Zweifel
vorherrschend war, so erzwingen die unsicheren Verhältnisse der spätrömischen
Zeit noch eine weitere Konzentration des Lebens in den Städten. Zeitweilige wirt-
schaftliche Prosperität dürfte sogar noch im 4. Jahrhundert zu öffentlichen und
privaten Bauten mit erstaunlichem Aufwand gerade in größeren Städten geführt
haben. Interessanterweise geht jedoch parallel damit eine entsprechende Bautätig-
keit in den Villen der Großgrundbesitzer auf dem flachen Lande64. Dies scheint
uns ein wesentlicher Hinweis dafür zu sein, daß die Abschnürung der Städte vom
flachen Lande nicht ausschließlich Sicherheitsgründe hatte, sondern daß Verände-
rungen der Sozial- und, als Folge davon, der Verfassungsstruktur die Ursache
dafür waren.
Siedlungsgeschichte
Die Forschung hat schon seit längerer Zeit erkannt, daß zur Zeit der Einglie-
derung in das römische Reich der oberrheinische Raum bereits über Gallien erheb-
liche Einflüsse aus dem mittelmeerischen Hochkulturbereich empfangen hatte. Zu
den wichtigsten Errungenschaften, die so im 1. vorchristlichen Jahrhundert hier
61 Vgl. W. Schleiermacher, Civitas und Vicus, in: Provincialia — Festschrift f.
R. Laur-Belart (1968), S. 440 ff.; ebd. S. 440 Anm. 1, Zusammenstellung der älteren
T .1 i~.pt* Atm*,
62 Vgl. S. S. Frere, Civitas — a myth?, in Antiquity 35 (1961) S. 19 ff.
03 Schleiermacher (wie Anm. 61) S. 443.
64 Vgl. die Überlegungen von G. Webster zu Untersuchungen von Villae in England:
G. Webster, The Future of Villa Studies, in: The Roman Villa in Britain, edit. by
A. L. F. Rivet (1969) S. 237 ff.