Die Südwestdeutsche Presse
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kratisierungstendenz im amerikanischen Besatzungsgebiet alle Deutschen zu er-
reichen versuchte und ihnen neben der Einsicht in die deutsche Kollektivschuld das
Bekenntnis zur Überwindung von Nationalsozialismus und Militarismus abver-
langte, ist die französische Erziehungspolitik merkwürdig ambivalent. Kein
Wunder, geht sie doch Hand in Hand mit kräftiger wirtschaftlicher Ausbeutung
des besetzten Landes und konnte nicht, wie bei den Amerikanern, mit durch Ziga-
retten und Büchsennahrung erkaufter Vorschußsympathie aufgewertet werden48.
Hier stehen — wirtschaftlich gesprochen — zwei Verlierer des zweiten Weltkrieges
nebeneinander, die sich zudem durch ständige Kontakte und gemeinsame Schick-
sale besser kannten als alle anderen Besatzungstruppen im Verhältnis zur deutschen
Bevölkerung. Vielfach waren die ehemaligen französischen Kriegsgefangenen, die
als Arbeitskräfte in den Dörfern eingesetzt waren, gleich als Besatzungssoldaten an
Ort und Stelle geblieben, und nach Abzug der Kampftruppen blieb ihr Verhältnis
zur Zivilbevölkerung bestimmend und äußerte sich in den widersprüchlichen Maß-
nahmen von Schikane und Ausbeutung, von Kumpanei, Verständnis und Mensch-
lichkeit49.
Kein Wunder, daß auch die Presse diese Uneinheitlichkeit des Denkens und Han-
delns widerspiegelte. Natürlich beschwor sie die jahrhundertelange, ja jahrtausend-
alte kulturelle und geistige Nachbarschaft, und gerade im Oberrheingebiet wird die
Erinnerung an permanente kriegerische Auseinandersetzungen überspielt durch den
Hinweis auf die kräftigen Wechselbeziehungen im geistigen und kulturellen Be-
reich, die das Oberrheingebiet zum Umschlagplatz französischer und deutscher
Kultur hatte werden lassen. Insbesondere in Baden-Baden, im 19. Jahrhundert
der heimlichen Hauptstadt Europas und folgerichtig als unzerstörter Stadt auch
dem Hauptquartier des französischen Oberkommandos, haben die kulturellen
Aktivitäten an diese Tradition anzuknüpfen versucht, haben Theater und Ausstel-
lungen, haben Zeitschriften von hohem Niveau nach geistigen Gemeinsamkeiten
gesucht50. Dieses Phänomen der französischen Kulturpolitik verdiente eine inten-
sive Untersuchung, wobei der Frage besondere Aufmerksamkeit zu schenken wäre,
wieweit sie sich in den vier französischen Besatzungsgebieten Vorarlberg, Süd-
48 Willis (wie Anm. 42) S. 14 ff.
49 Dieses insgesamt kaum darstellbare Faktum läßt sich nur an zahllosen Einzelbeispielen
dokumentieren, die der ortsgeschichtlichen Literatur zu entnehmen sind. Hervorzuheben
sind die vorbildlich recherchierten und dokumentierten Bücher von H. Riedel, Ausweglos...!
Letzter Akt des Krieges im Schwarzwald, in der Ostbaar und an der oberen Donau Ende
April 1945 (Villingen 1974) und ders., Villingen 1945. Bericht aus schwerer Zeit (Villingen
1968), in die zahlreiche Augenzeugenberichte französischer und deutscher Beteiligter ver-
arbeitet sind. Allerdings sollte ein solches — im Prinzip vorbildliches — Unternehmen
nicht bereits mit den Ereignissen des April 1945 abgebrochen werden, sondern sollte das
erste Jahr der Besatzungszeit einschließen. Die Beobachtungen über die Rolle der ehe-
maligen französischen Kriegsgefangenen, die für mehrere Wochen im Dorf als Besatzungs-
truppe das Heft in die Hand nahmen und dabei der Bevölkerung Gelegenheit gaben,
Versorgungslager und ausgelagerte Materialdepots süddeutscher Industriebetriebe zu plün-
dern, leitet der Vf. dieses Beitrags (Jahrg. 1932) aus eigenen Erlebnissen im April 1945 in
der Gemeinde Tieringen Kr. Balingen ab.
50 Vgl. Anm. 42.
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kratisierungstendenz im amerikanischen Besatzungsgebiet alle Deutschen zu er-
reichen versuchte und ihnen neben der Einsicht in die deutsche Kollektivschuld das
Bekenntnis zur Überwindung von Nationalsozialismus und Militarismus abver-
langte, ist die französische Erziehungspolitik merkwürdig ambivalent. Kein
Wunder, geht sie doch Hand in Hand mit kräftiger wirtschaftlicher Ausbeutung
des besetzten Landes und konnte nicht, wie bei den Amerikanern, mit durch Ziga-
retten und Büchsennahrung erkaufter Vorschußsympathie aufgewertet werden48.
Hier stehen — wirtschaftlich gesprochen — zwei Verlierer des zweiten Weltkrieges
nebeneinander, die sich zudem durch ständige Kontakte und gemeinsame Schick-
sale besser kannten als alle anderen Besatzungstruppen im Verhältnis zur deutschen
Bevölkerung. Vielfach waren die ehemaligen französischen Kriegsgefangenen, die
als Arbeitskräfte in den Dörfern eingesetzt waren, gleich als Besatzungssoldaten an
Ort und Stelle geblieben, und nach Abzug der Kampftruppen blieb ihr Verhältnis
zur Zivilbevölkerung bestimmend und äußerte sich in den widersprüchlichen Maß-
nahmen von Schikane und Ausbeutung, von Kumpanei, Verständnis und Mensch-
lichkeit49.
Kein Wunder, daß auch die Presse diese Uneinheitlichkeit des Denkens und Han-
delns widerspiegelte. Natürlich beschwor sie die jahrhundertelange, ja jahrtausend-
alte kulturelle und geistige Nachbarschaft, und gerade im Oberrheingebiet wird die
Erinnerung an permanente kriegerische Auseinandersetzungen überspielt durch den
Hinweis auf die kräftigen Wechselbeziehungen im geistigen und kulturellen Be-
reich, die das Oberrheingebiet zum Umschlagplatz französischer und deutscher
Kultur hatte werden lassen. Insbesondere in Baden-Baden, im 19. Jahrhundert
der heimlichen Hauptstadt Europas und folgerichtig als unzerstörter Stadt auch
dem Hauptquartier des französischen Oberkommandos, haben die kulturellen
Aktivitäten an diese Tradition anzuknüpfen versucht, haben Theater und Ausstel-
lungen, haben Zeitschriften von hohem Niveau nach geistigen Gemeinsamkeiten
gesucht50. Dieses Phänomen der französischen Kulturpolitik verdiente eine inten-
sive Untersuchung, wobei der Frage besondere Aufmerksamkeit zu schenken wäre,
wieweit sie sich in den vier französischen Besatzungsgebieten Vorarlberg, Süd-
48 Willis (wie Anm. 42) S. 14 ff.
49 Dieses insgesamt kaum darstellbare Faktum läßt sich nur an zahllosen Einzelbeispielen
dokumentieren, die der ortsgeschichtlichen Literatur zu entnehmen sind. Hervorzuheben
sind die vorbildlich recherchierten und dokumentierten Bücher von H. Riedel, Ausweglos...!
Letzter Akt des Krieges im Schwarzwald, in der Ostbaar und an der oberen Donau Ende
April 1945 (Villingen 1974) und ders., Villingen 1945. Bericht aus schwerer Zeit (Villingen
1968), in die zahlreiche Augenzeugenberichte französischer und deutscher Beteiligter ver-
arbeitet sind. Allerdings sollte ein solches — im Prinzip vorbildliches — Unternehmen
nicht bereits mit den Ereignissen des April 1945 abgebrochen werden, sondern sollte das
erste Jahr der Besatzungszeit einschließen. Die Beobachtungen über die Rolle der ehe-
maligen französischen Kriegsgefangenen, die für mehrere Wochen im Dorf als Besatzungs-
truppe das Heft in die Hand nahmen und dabei der Bevölkerung Gelegenheit gaben,
Versorgungslager und ausgelagerte Materialdepots süddeutscher Industriebetriebe zu plün-
dern, leitet der Vf. dieses Beitrags (Jahrg. 1932) aus eigenen Erlebnissen im April 1945 in
der Gemeinde Tieringen Kr. Balingen ab.
50 Vgl. Anm. 42.