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Rödel, Volker [Editor]; Ammerich, Hans [Editor]; Adam, Thomas [Editor]
Säkularisation am Oberrhein — Oberrheinische Studien, Band 23: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2004

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Wolgast, Eike: Staat und Säkularisation
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https://doi.org/10.11588/diglit.52740#0044

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EIKE WOLGAST

die zu der neuen preußischen Provinz Sachsen geschlagen wurden, dagegen, jetzt den
»sächsischen Volkscharakter« annehmen zu müssen.
Ein indirekt, aber bedrohlich wirksamer Negativfaktor der Veränderungen von 1803
bis 1806 betraf den Verlust der Rechtssicherheit. Mit der Säkularisation der Reichskirche
waren innerhalb des Reiches Grenzen prinzipiell variabel geworden, die Existenz von
Staaten nicht mehr wie bisher unumstößlich gesichert. Außerhalb des Reiches waren
Polen und die Republik Venedig Menetekel dieser Rechtsunsicherheit. Auch Baden hat
dies später im Streit mit Bayern um die rechtsrheinische Pfalz und in den Bemühungen um
die Absicherung der Hochberger Nachfolge erfahren müssen. Heinrich von Treitschke,
bekanntlich ein erbitterter Gegner des deutschen Partikularismus, sah noch 1864 in der
»Revolution der Fürsten« von 1803 eine Auswirkung des historischen Gesetzes, dem
zufolge überlebte Kleinstaaten in Großstaaten aufgingen, und verstand dies im Vorfeld
der Reichsgründung als ermutigendes Zeichen für die Realisierung seines Wunsches nach
dem preußisch-deutschen Einheitsstaat60.
Ein eindeutiger Negativfaktor war die finanzielle Belastung des Staates durch die
Säkularisationen. Die Pensionen der Kirchenfürsten, die Abfindung austretender Kloster-
insassen, selbst die Übernahme und häufig nur minimale Versorgung der Klosterbedien-
steten waren temporäre Lasten, die sich von Jahr zu Jahr verringerten, auch wenn sie
zunächst drückend waren. So berechnete der Deutsche Orden 1803, als ihm 36 Klöster im
Bodenseegebiet überwiesen wurden, daß die zu zahlenden Pensionen die Einnahmen für
lange um das Doppelte überstiegen und erst für 1822 ein kleiner Überschuß zu erwarten
war. Unter diesen Umständen verzichtete er auf die Aufhebung der Klöster. In Bayern
übertrafen die Verbindlichkeiten die Habenseite beträchtlich, von 83 Mill. fl. Gesamt-
schulden entfiel die Hälfte auf ehemals geistliche Besitzungen. Anders sah es in Württem-
berg aus, wo vor allem das reiche evangelische Kirchengut säkularisiert und der Staatskas-
se zugeführt wurde. Für Baden fehlt es an Detailuntersuchungen; hier ist lediglich die
horrende Pfälzer Schuld bekannt, deren Tilgung Jahrzehnte in Anspruch nahm61.
Von den durch Baden mitzuversorgenden Bischöfen starb als letzter der Baseler
Bischof von Neveu 1828, das letzte Kloster, das »Sammelkloster« Staufen im Breisgau,
endete 183462. Die Verstaatlichung der bisher von den Klöstern wahrgenommenen sozia-
len Leistungen (Armenfürsorge, Kranken- und Altenpflege) lag ohnehin im Zuge der
Kompetenzerweiterung des Staates für diesen Bereich, läßt sich also nicht unbedingt den
negativen Folgen der Säkularisation zuschlagen. Anders sieht es aus, wenn die beträchtli-
chen Dauerleistungen des Staates an die Kirchen in den Blick genommen werden. Die aus
den Säkularisationsgewinnen für den Unterhalt der Kirchen ausgeschiedenen Summen
wurden, nachdem sie durch Konkordate und Zirkumskriptionsbullen bzw. durch Verträ-
ge mit den evangelischen Landeskirchen fixiert waren, zu permanenten Staatslasten. Erst
die Revolution von 1918 versuchte auf diesem Gebiet zu einer klaren Trennung von Staat
und Kirche zu kommen, indem die Weimarer Reichsverfassung in Art. 138 Abs. 1 festleg-
te: Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an
60 Vgl. H. von Treitschke, Bundesstaat und Einheitsstaat, in: Historische und Politische Aufsät-
ze 2, Leipzig 41871, S. 190f.
61 Zu den Zahlenangaben vgl. Dipper, Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 26), S. 152-154.
62 Vgl. Schmid, Säkularisation (wie Anm. 7), S. 151£.
 
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