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HERMANN EHMER
»Stadtstudent« oder »oppidanus« wurde freilich nicht als ganz vollwertig angesehen16.
Ein Generalreskript vom 3. Mai 1749 gab deswegen den Stipendiaten bei der Besetzung
der Kirchendienste den Vorzug17. Vielfach war es aber auch nötig, »in der Stadt« zu stu-
dieren, seit bestimmt worden war, dass jeweils nur ein Sohn aus einer Familie das Stipen-
dium genießen durfte18.
Seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden stets Theologen nach auswärts abge-
geben. In solchen Fällen behielten die Betreffenden sich den »regressus in patriam«, die
Wiederaufnahme in den heimischen Kirchendienst vor. Erst gegen Ende des 18. Jahr-
hunderts scheint dieses Bedürfnis nachgelassen zu haben, jedenfalls legte die Generation
von Hegel und Hölderlin keinen gesteigerten Wert mehr auf dieses Recht. Es wurde jetzt
zwar beim Konsistorium ein Vikarbuch geführt, mit dem man versuchte, den Kandida-
ten, die als »Parastaten«, Hofmeister oder Hauslehrer auswärts weilten, auf der Spur zu
bleiben. Doch scheinen die Meldungen nicht selten ausgeblieben zu sein.
Hingegen legte man in der Folgezeit großen Wert darauf, dass diejenigen, die sich
nach auswärts - aus welchem Grunde auch immer - in Dienste begaben, ihre Studien-
kosten zurückzahlten. So wurden die sieben Stiftler, die 1849 ausgerückt waren, um in
Baden die Reichsverfassung zu verteidigen, nach ihrer Rückkehr und verbüßter Karzer-
strafe aus dem Seminarverband entlassen und ihnen der Ersatz der Studienkosten aufer-
legt19. Zuvor schon, am 21. September 1848, hatte der Stiftler Heinrich Lang20 (1826-
1876) auf einer Volksversammlung in Reutlingen eine glänzende Rede für die Republik
gehalten, aber nachdem er erfahren hatte, dass die Obrigkeit nach ihm fahnde, es für
besser gehalten, in die Schweiz auszuweichen. Es gelang ihm dort nach kurzer Zeit eine
Kirchenstelle zu erhalten, weshalb er ganz korrekt das württembergische Konsistorium
um 10 Jahre Urlaub bat. Das Konsistorium befürwortete das Gesuch ohne weiteres,
damit er seine »republicanische Schwärmereien« abkühlen könne. Hinsichtlich des Stu-
dienkostenersatzes blieb man ihm aber auf den Fersen. Es handelte sich immerhin um
1280 fl., die etwa dem Anderthalbfachen von Langs jährlichem Gehalt entsprachen. Erst
durch ein unmittelbar dem König eingereichtes Gesuch wurde ihm 1863 der Erlaß der
Studienkosten und seine Entlassung genehmigt21.
16 Ein Gegenbeispiel ist Gottfried Georg Brigel (1716-1791), der mit einem Familienstipendium
in Tübingen studierte und 1752 Pfarrer in Oberbrüden wurde; H. Ehmer, Pfarrer Gottfried
Georg Brigel von Oberbrüden und seine Zeit, in: Geschichte und Geschichten aus unserer
Heimat Weissacher Tal 20 (2005), S. 76-93.
17 Reyscher (wie Anm. 14), Bd. 8: Kirchen-Geseze, S. 658.
18 Dies war etwa der Fall bei den beiden Söhnen des Pfarrers Johann Friedrich Flattich (1713—
1797). Der ältere Sohn Fritz (1752-1824) durchlief die Klosterschulen und das Stift, der zweite
Sohn Louis (1756-1822) ging vom Unterricht des Vaters unmittelbar an die Universität und
studierte als Stadtstudent; H. Ehmer, Johann Friedrich Flattich. Der schwäbische Salomo,
Stuttgart 1997, S. 96f.
19 H. Ehmer, Das Tübinger Stift und die Revolution 1848/49, in: Zeitschrift für Bayerische
Kirchengeschichte 62 (1993) = Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte 1 (1993),
S. 116-139, hier S. 128.
20 Th. K. Kuhn, Art. Lang, Heinrich, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon
(= BBKL) 16 (1999), Sp. 933-940.
21 H. Ehmer, Tübinger Stift und die Revolution 1848/49 (wie Anm. 19), S. 124f., 132f.
HERMANN EHMER
»Stadtstudent« oder »oppidanus« wurde freilich nicht als ganz vollwertig angesehen16.
Ein Generalreskript vom 3. Mai 1749 gab deswegen den Stipendiaten bei der Besetzung
der Kirchendienste den Vorzug17. Vielfach war es aber auch nötig, »in der Stadt« zu stu-
dieren, seit bestimmt worden war, dass jeweils nur ein Sohn aus einer Familie das Stipen-
dium genießen durfte18.
Seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden stets Theologen nach auswärts abge-
geben. In solchen Fällen behielten die Betreffenden sich den »regressus in patriam«, die
Wiederaufnahme in den heimischen Kirchendienst vor. Erst gegen Ende des 18. Jahr-
hunderts scheint dieses Bedürfnis nachgelassen zu haben, jedenfalls legte die Generation
von Hegel und Hölderlin keinen gesteigerten Wert mehr auf dieses Recht. Es wurde jetzt
zwar beim Konsistorium ein Vikarbuch geführt, mit dem man versuchte, den Kandida-
ten, die als »Parastaten«, Hofmeister oder Hauslehrer auswärts weilten, auf der Spur zu
bleiben. Doch scheinen die Meldungen nicht selten ausgeblieben zu sein.
Hingegen legte man in der Folgezeit großen Wert darauf, dass diejenigen, die sich
nach auswärts - aus welchem Grunde auch immer - in Dienste begaben, ihre Studien-
kosten zurückzahlten. So wurden die sieben Stiftler, die 1849 ausgerückt waren, um in
Baden die Reichsverfassung zu verteidigen, nach ihrer Rückkehr und verbüßter Karzer-
strafe aus dem Seminarverband entlassen und ihnen der Ersatz der Studienkosten aufer-
legt19. Zuvor schon, am 21. September 1848, hatte der Stiftler Heinrich Lang20 (1826-
1876) auf einer Volksversammlung in Reutlingen eine glänzende Rede für die Republik
gehalten, aber nachdem er erfahren hatte, dass die Obrigkeit nach ihm fahnde, es für
besser gehalten, in die Schweiz auszuweichen. Es gelang ihm dort nach kurzer Zeit eine
Kirchenstelle zu erhalten, weshalb er ganz korrekt das württembergische Konsistorium
um 10 Jahre Urlaub bat. Das Konsistorium befürwortete das Gesuch ohne weiteres,
damit er seine »republicanische Schwärmereien« abkühlen könne. Hinsichtlich des Stu-
dienkostenersatzes blieb man ihm aber auf den Fersen. Es handelte sich immerhin um
1280 fl., die etwa dem Anderthalbfachen von Langs jährlichem Gehalt entsprachen. Erst
durch ein unmittelbar dem König eingereichtes Gesuch wurde ihm 1863 der Erlaß der
Studienkosten und seine Entlassung genehmigt21.
16 Ein Gegenbeispiel ist Gottfried Georg Brigel (1716-1791), der mit einem Familienstipendium
in Tübingen studierte und 1752 Pfarrer in Oberbrüden wurde; H. Ehmer, Pfarrer Gottfried
Georg Brigel von Oberbrüden und seine Zeit, in: Geschichte und Geschichten aus unserer
Heimat Weissacher Tal 20 (2005), S. 76-93.
17 Reyscher (wie Anm. 14), Bd. 8: Kirchen-Geseze, S. 658.
18 Dies war etwa der Fall bei den beiden Söhnen des Pfarrers Johann Friedrich Flattich (1713—
1797). Der ältere Sohn Fritz (1752-1824) durchlief die Klosterschulen und das Stift, der zweite
Sohn Louis (1756-1822) ging vom Unterricht des Vaters unmittelbar an die Universität und
studierte als Stadtstudent; H. Ehmer, Johann Friedrich Flattich. Der schwäbische Salomo,
Stuttgart 1997, S. 96f.
19 H. Ehmer, Das Tübinger Stift und die Revolution 1848/49, in: Zeitschrift für Bayerische
Kirchengeschichte 62 (1993) = Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte 1 (1993),
S. 116-139, hier S. 128.
20 Th. K. Kuhn, Art. Lang, Heinrich, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon
(= BBKL) 16 (1999), Sp. 933-940.
21 H. Ehmer, Tübinger Stift und die Revolution 1848/49 (wie Anm. 19), S. 124f., 132f.