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Krüger, Jürgen [Hrsg.]; Schwarzmaier, Hansmartin [Hrsg.]; Wennemuth, Udo [Hrsg.]
Das Evangelische Pfarrhaus im deutschsprachigen Südwesten — Oberrheinische Studien, Band 32: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2014

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Kienzle, Claudius: Das evangelische Pfarrhaus im protestantischen Milieu der frühen Bundesrepublik: Erwartungshaltungen und Selbstverortungen am Beispiel Württembergs
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https://doi.org/10.11588/diglit.52749#0315

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CLAUDIUS KIENZLE

tischen Gemeinschaften für die Pfarrer geworden war. Hotzelmann hatte in Hamburg,
Reykjavik, Tübingen und Kiel studiert, also größtenteils an renommierten Fakultäten,
die jedoch nicht im Ruf einer radikalen theologischen Avantgarde standen. Dort hatte er
bei Professoren von theologisch eher konservativem Zuschnitt studiert. Er war vor sei-
ner Aufnahme in den württembergischen Kirchendienst bei der traditionsreichen Bre-
klumer Mission. Auch seine Pfarrberichte lesen sich nicht gerade wie ein Dokument
eines Theologen, der nach den damaligen Kategorien als >modern< einzustufen wäre und
der dem theologischen Liberalismus das Wort redete. Trotzdem konnte er den theologi-
schen Erwartungen der skeptischen Pietisten nicht gerecht werden.
Diese Skepsis traf nicht nur Pfarrer, die bereits in den Gemeinden waren, sondern
wurde schon im Vorfeld einer Stellenbesetzung zum Prüfstein für die >Rechtgläubigkeit<
eines Geistlichen. So berichtete der Schorndorfer Dekan Rudolf Brezger (1904-1999),
dass es bei der Besetzung einer Pfarrstelle zu »Schwierigkeiten« kam, weil dem letztend-
lich gewählten Kandidaten der Ruf eines Bultmannianers vorausging78. In der Folgezeit
traten mehrere Kirchengemeinderäte wegen Lehrdifferenzen mit dem Pfarrer zurück.
Auch andernorts trat zur selben Zeit ein Kirchengemeinderat der landeskirchlichen Ge-
meinschaft wegen der unbiblisch e[n\, den reformatorischen Bekenntnissen widerspre-
chenden Verkündigung des Ortspfarrers und seines Vikars aus dem Gremium aus. Die
Gemeinschaft selbst kündigte die Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde auf und
zog einen Teil ihrer Mitglieder aus der kirchlichen Mitarbeit zurück, weil sie in ihr den
Fürsten dieser Welt, nämlich Satan am Werke sah79 80 81 82.
Für Brezger war es bedauerlich, aber nicht verwunderlich, dass das Misstrauen derer,
die sich als die Wahrer des rechten Glaubens fühlen, nicht überwunden werden konnte*0.
Verwunderlich sei es deshalb nicht, weil gewisse Fangfragen [...] wie sie augenblicklich
üblich sind, um den Glauben zu messen, nicht befriedigend beantwortet werden könn-
ten. Der Grund dafür sei die Fragetechnik, von der Brezger eine Kostprobe gab: Anläss-
lich der Kandidatenvorstellung zu der 1965 anstehenden Kirchenwahl hatte ein Teilneh-
mer dieser Veranstaltung wie folgt argumentiert: Die Gefahr der Kirche sei
augenblicklich anerkanntermaßen die Bultmannsche Theologie. Man könne jetzt nicht
in die Einzelheiten gehen. Darum fordere er die Kandidaten auf, ihm einzeln mit einem
Ja oder Nein auf die Frage zu antworten: Bekennen Sie sich zu Bultmann?
Durch solcherlei simple Denkstrukturen, die nach Ansicht Pfarrer Eberhard Auers
(* 1937) deutlich machten, dass vor allem die Pietisten es verlernt haben auf die anderen
zu hören [...] den anderen in seinen Problemen und Glaubensschwierigkeiten ernst zu
nehmen*1, gerieten die Pfarrer bei einem maßgeblichen Teil ihrer Gemeindeangehörigen
in die Defensive. Dies geschah unabhängig von ihrer vom Esslinger Dekan Kurt Hennig
(1910-1992) oftmals bestimmten kirchlich-theologischen Blutgruppe*2. Für Pfarrer Franz
Girrulat (1914-1975), der als Vorsitzender der aus der Gemeinschaftsbewegung der Jahr-
hundertwende hervor gegangenen Bahnauer Bruderschaft durchaus theologische Nähe

78 LKAS 129 Beibericht des Dekans Aichelberg-Schanbach 1965.
79 LKAS Altreg. OKR OA, Az 32.5 Pfb Rommelshausen 1969.
80 Alle Zitate LKAS 129 Beibericht des Dekans Aichelberg-Schanbach 1965.
81 LKAS Altreg. OKR OA, Az 32.5 Pfb Strümpfelbach 1969.
82 Etwa LKAS Altreg. OKR OA, Az 32.5 Beibericht des Dekans Denkendorf 1973.
 
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