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der Haare über die Schultern, die einzelnen Haare auf der Stirn zu Beginn des Scheitels*),
der entblösste Hals, die allzu langen, spitzen, nach aussen zurückgebogenen Finger, die
kleinen Fasse, die grünen Schatten in den Fleischtheilen, sowie die Färbung des Futters
am rechten Ann und an den Beinen.

Dagegen unterscheiden sich vor Allem die Haltung der Hände und die Stellung
der Beine. Während die Rechte im Godescalc Evangeliar mit der Innenseite der Brust
zugekehrt, und nicht deutlich zu unterscheiden ist, ob dieselbe griechisch oder lateinisch
segnet, hält die Linke das Buch am unteren Ende aufrecht empor. Das linke Bein er-
scheint ferner gegen das rechte etwas in die Höhe gehoben, und kommt die linke Knie-
scheibe dadurch wesentlich höher zu stehen, als die rechte; ausserdem stehen die Beine
nicht steif parallel neben einander, sondern der Schooss ist weit geöffnet und der Mantel
dadurch über die Kniee herüber in Spannung gebracht. Die hierdurch erzielte straffe
Faltengebung ist viel wirkungsvoller, als das gekünstelte Lagern des Mantels auf den
Knieen der Uhristushgur in xmserer Handschrift. Zugleich ist dadurch eine gewisse
Bewegung in die untern Partieen des Bildes und eine Abwechslung in die Richtung der
Falten gekommen**), welche unserer Darstellung abgeht. Die Füsse sind im Godescalc
Evangeliar ebenso unproportionirt klein gezeichnet, dagegen erscheint der Kopf breiter
und voller. Gegenüber der kleinlichen und zaghaften Detaillirang des Gesichtes auf
unserem Bilde, sind dort Augen, Nase und Mund energisch und in richtigen Proportionen
entworfen; der Ausdruck ist dabei milder und lebensvoller. Dafür ist die Colorirung auf
dem jungem Bilde besser, die Farben sind reiner und nicht so von starken, dunklen
Faltenlinien durchfurcht, wie in der Pariser Handschrift. Das Haar ist dort flachsblond
mit eingezeichneten dicken und dünnen Theilungsstrichen in dunkelbraunem Tone, das
Pallium von bräunlich - purpurner, das lange Gewand von schmutzig - grüner Farbe ***).
Am untern Rande des Mantels sind Verzierungen nach Art der fasciolae oder lati clavi

*) Ueber die „aus der byzantinischen Kunst stammende Stirnlocke" handelt ausfuhrlich Th. Frimmel
in seiner Besprechung der Kraus'schen Publikation des Codex Egberti im Repertorium f. Kunstw. VII, S. 350.
Zur Vervollständigung des das. gegebenen Materials fuhren wir noch einige Mss. an, in welchen uns diese
„Stirnlocke" begegnet ist; Evangeliar in Würzburg (Univ.-Bibl. Mp. th. f. 66) VIII. s.; Godescalc Evangeliar
in Paris (s. o.) IX. s. ; Wormser Sacramentar (Paris, Arsenalbibl. 610 [192 T. 1.]) X. s.; Darmstädter
Evangeliar (s. o.) X. 8.; Kheinauer Sacramentar (Zürich, Kantonalbibl. 75) XI. s.; Evangeliar der Dessauer
Fürst Georgs-Bibl. XII. s. Ein späteres Beispiel der Nachahmung dieses alten Motives bieten die Bilder des
Johannes-Ev. und des Johannes Bapt. von Barth. Zeitblom in der Sammlung des Stuttgarter Museums (No. 412
und 421). Auch bei sicilianischen Mosaiken, z. B. in der Cap. Palatina zu Palermo, hat sich der Stirn-Haar-
büschel bis in's XII. s. hinein erhalten. Auf dem gegenüberstehenden Bilde in unserer Handschrift ist an die
Stelle der Stirnlocke, gewissermaassen als Ersatz, ein am Diadem herunterhängendes Goldplättchen getreten.

**) Diese Anordnung findet sich in mehreren Mss. der Karoling. Periode, so z. B. bei der Evan-
gelistenfigur in dem Wiener Evangeliar Karl's des Grossen, von der H. .Tanitschek a. a. 0. S. 27 eine Ab-
bildung giebt

***) Die bunten Abbildungen geben alle die Farben der Gewandung nicht stumpf genug wieder.
 
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