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Die einzelnen Pflichten.
gesehen werdend Verwandten Geist atmen die Anweisungen, die
sich an diese Vorschriften unmittelbar anschließen: „Solltest du über
eine Handlung oder ein Verhalten im Zweifel sein, so sieh, ob dort
Brahmanen sind von gutem Urteil, aufmerksam und angespannt,
von Rauhheit frei, das Recht liebend: wie sich die da verhalten
würden, so magst du dich verhalten" — eine Maxime, von der nicht
erst hervorgehoben zu werden braucht, daß aus ihr eine Freiheit der
Gesinnung spricht, die mit Festhaften des sittlichen Tuns am Buch-
stabendienst, an gottesdienstlichen oder zauberhaften Äußerlichkeiten
schwer vereinbar ist. —
An systematische Anseinanderlegung der Pflichten denkt man
jetzt natürlich nicht?. Man reiht hier und da einige Hauptbegriffe
locker an einander. Gelegentlich gibt man auch, geleitet etwa von
einem Wortspiel oder Ähnlichem, eine kurze fester gefügte Zusammen-
stellung, die dann eben soweit reicht, wie jenes zufällige Motiv mit
sich bringt, und nicht als Versuch das ganze Gebiet zu umfassen
bewertet werden kann. Der Hauptsitz der in Betracht kommenden
Äußerungen sind die Upanishaden, in denen, wie schon bemerkt, das
Zurücktreten des rein Sakralen den Interessen dieser Art freieren
Raum ließ. Da die Besonderheiten der Upanffhadspekulation hier
kaum Einfluß üben konnten, dürfen wir wohl, was dort gesagt wird,
im Ganzen für einen vielleicht etwas weiter entwickelten Ausdruck
von Anschauungen halten, die ähnlich auch in der Brähmanazeit ge-
herrscht oder sich dort wenigstens vorbereitet haben werden.
1. Nicht ohne weiteres für die entscheidende Kraft der Gesinnung kann
man geltend machen, daß dem König Soma, wie einmal gesagt wird (8L. IV,
I, 2, 4), Sündenfchuld anhaftete „wenn auch nur darum, daß er das Brahman
(das Brahmanentum) zu unterdrücken beabsichtigt hatte". Der brahmanische
Beurteiler war in solchem Fall natürlich schon gegenüber der bloßen Absicht
besonders feinfühlig. Schwerlich wäre er bereit gewesen die Folgerung zu ziehen,
daß die unabsichtliche Tat keine Schuld begründet. Eine Erzählung in Bräh-
manatexten berichtet, daß ein priesterlicher Wagenlenker, seinen König fahrend
— offenbar unabsichtlich — einen Brahmanenknaben überfuhr und tötete. Da
lag Schuld des Brahmanenmordes vor, und die Frage war nur, ob beim König
oder beim Wagenlenker (Materialien bei Sieg, Sagenstoffe des Rigv. 64ff.).
Über die hier einschlagenden Auffassungen der späteren Rechtstexte s. meine Aus-
führungen bei Mommsen, Zum ältesten Strafrecht der Kulturvölker, 76ff.
2. Leisis Lehre („Alt-arisches Ins Zontinm"), „daß das Altariertum in
dem Emporstreben zu höherer religiöser und sittlicher Läuterung an neun Ge-
boten seine Stütze gefunden hat", halte ich für irrig.
Die einzelnen Pflichten.
gesehen werdend Verwandten Geist atmen die Anweisungen, die
sich an diese Vorschriften unmittelbar anschließen: „Solltest du über
eine Handlung oder ein Verhalten im Zweifel sein, so sieh, ob dort
Brahmanen sind von gutem Urteil, aufmerksam und angespannt,
von Rauhheit frei, das Recht liebend: wie sich die da verhalten
würden, so magst du dich verhalten" — eine Maxime, von der nicht
erst hervorgehoben zu werden braucht, daß aus ihr eine Freiheit der
Gesinnung spricht, die mit Festhaften des sittlichen Tuns am Buch-
stabendienst, an gottesdienstlichen oder zauberhaften Äußerlichkeiten
schwer vereinbar ist. —
An systematische Anseinanderlegung der Pflichten denkt man
jetzt natürlich nicht?. Man reiht hier und da einige Hauptbegriffe
locker an einander. Gelegentlich gibt man auch, geleitet etwa von
einem Wortspiel oder Ähnlichem, eine kurze fester gefügte Zusammen-
stellung, die dann eben soweit reicht, wie jenes zufällige Motiv mit
sich bringt, und nicht als Versuch das ganze Gebiet zu umfassen
bewertet werden kann. Der Hauptsitz der in Betracht kommenden
Äußerungen sind die Upanishaden, in denen, wie schon bemerkt, das
Zurücktreten des rein Sakralen den Interessen dieser Art freieren
Raum ließ. Da die Besonderheiten der Upanffhadspekulation hier
kaum Einfluß üben konnten, dürfen wir wohl, was dort gesagt wird,
im Ganzen für einen vielleicht etwas weiter entwickelten Ausdruck
von Anschauungen halten, die ähnlich auch in der Brähmanazeit ge-
herrscht oder sich dort wenigstens vorbereitet haben werden.
1. Nicht ohne weiteres für die entscheidende Kraft der Gesinnung kann
man geltend machen, daß dem König Soma, wie einmal gesagt wird (8L. IV,
I, 2, 4), Sündenfchuld anhaftete „wenn auch nur darum, daß er das Brahman
(das Brahmanentum) zu unterdrücken beabsichtigt hatte". Der brahmanische
Beurteiler war in solchem Fall natürlich schon gegenüber der bloßen Absicht
besonders feinfühlig. Schwerlich wäre er bereit gewesen die Folgerung zu ziehen,
daß die unabsichtliche Tat keine Schuld begründet. Eine Erzählung in Bräh-
manatexten berichtet, daß ein priesterlicher Wagenlenker, seinen König fahrend
— offenbar unabsichtlich — einen Brahmanenknaben überfuhr und tötete. Da
lag Schuld des Brahmanenmordes vor, und die Frage war nur, ob beim König
oder beim Wagenlenker (Materialien bei Sieg, Sagenstoffe des Rigv. 64ff.).
Über die hier einschlagenden Auffassungen der späteren Rechtstexte s. meine Aus-
führungen bei Mommsen, Zum ältesten Strafrecht der Kulturvölker, 76ff.
2. Leisis Lehre („Alt-arisches Ins Zontinm"), „daß das Altariertum in
dem Emporstreben zu höherer religiöser und sittlicher Läuterung an neun Ge-
boten seine Stütze gefunden hat", halte ich für irrig.