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Pfeifen des Herbstwinds. Ein unüberwindlicher
Schrecken bemächtigte sich meiner, meine Haare
sträubten sich auf meiner Stirne, meine Zähne
klapperten zum Zerbrechen, ein kalter Schweiß
überschwemmte meinen Körper.
Die Pendeluhr schlug elf Uhr. Das Zittern
des letzten Schlages schwang lange nach, und
als es gänzlich erstorben war ... Oh! nein, ich
wage nicht zu sagen, was geschah, niemand
würde mir glauben, und man würde mich für
einen Narren halten.
Die Wachslichter entzündeten sich ganz von
selbst; der Blasebalg, ohne dal? irgendein sicht-
bares Wesen ihm die Bewegung abgeprel?t hätte,
begann das Feuer anzufachen, indem er wie ein
asthmatischer Greis röchelte, während die
Feuerzange in dem Brande wühlte und die
Schaufel die Asche herausholte.
Sodann schwang sich eine Kaffeekanne von
dem Tische herunter, darauf sie gestanden, und
näherte sich, ein wenig humpelnd, dem Herde,
wo sie sich zwischen den Flammen niederliel?.
Einige Augenblicke später begannen die
Lehnstühle aufzubrechen und reihten sich, die
gewundenen Fül?e sonderbar bewegend, um den
Kamin herum.
II.
Ich wußte nicht, was ich von dem was ich
sah, denken solle; aber was mir weiterhin zu
sehen beschieden war, war noch außerordent-
licher.
Eines der Bildnisse, das älteste von allen, das
eines feisten Pausbäckigen mit grauem Barte,
welches täuschend der Vorstellung ähnelte,
die ich mir vom alten Sir John Falstaff gemacht
habe, reckte unter Gesichtsverzerrungen den
Kopf aus seinem Rahmen und sprang, nachdem
es mit großen Anstren-
gungen seine Schultern
und seinen Fettwanst aus
der knappen Umrahmung
hervorgezwängt hatte,
schwerfällig zu Boden.
Das Wesen hatte
kaum Atem geschöpft, da
zog es aus der Tasche
seines W'amses einen
Schlüssel von auffallen-
der Winzigkeit hervor,
blies hinein, um sich
zu überzeugen, ob die

Öffnung wohl rein sei, und setzte ihn an einen
Rahmen nach dem andern an. Und alle Rahmen
erweiterten sich derart, daß sie die von
ihnen umschlossenen Gestalten mit Leichtigkeit
heraustreten ließen.
Kleine geschniegelte Abbes, trockne und
gelbe wohledle W'itwen,Ratsherren mit ernster
Miene, in weite schwarze Roben gehüllt,
Stutzer mit Seidenstrümpfen, schlohfarbnen
Kniehosen, die Degenspitze aufwärts gerichtet,
alle diese Persönlichkeiten boten ein so bizarres
Schauspiel dar, daß ich mich trotz meines
Schauders des Lachens nicht erwehren konnte.
Diese würdigen Persönlichkeiten setzten sich;
dieKaffeekanne sprang leichtfüßig auf denTisch.
Sie tranken den Kaffee aus weißen und gelben
japanischen Tassen, die selbsttätig über die
Tischplatte herbeieilten, eine jede mit einem
Stückchen Zucker und einem kleinen Silber-
löffel ausgerüstet.
Als man den Kaffee getrunken hatte, ver-
schwanden Tassen, Kaffeekannen und Löffel
mit einem Male, und es begann wohl die son-
derbarste Konversation, die ich jemals gehört
habe, denn keiner dieser seltsamen Plauderer
blickte den andern beim Sprechen an : sie hatten
alle die Blicke auf die Pendeluhr geheftet. Ich
aber vermochte nicht die Blicke von ihr zu
wenden und davon abzustehen, den Zeiger zu
verfolgen, der mit unmerklichen Schritten sich
der Mitternacht näherte.
Endlich schlug es Mitternacht; eine Stimme,
deren Klang genau mit dem der Pendeluhr über-
einstimmte, ließ sich vernehmen und sagte: „Die
Stunde ist da, wir müssen tanzen.“
Die ganze Versammlung erhob sich. Die
Fauteuils wichen selbsttätig zurück; dann faßte
jeder Kavalier die Hand
einer Dame und sprach:
„Los, ihr Herren vom
Orchester, beginnet!“
Ich habe zu sagen ver-
gessen, daß der Vorwurf
der Tapisserie auf einer
Seite ein italienisches
Concerto und auf der an-
deren Seite eine Hirsch-
jagd war, bei der mehrere
Diener den Chor bildeten.
Die Jäger und die
Musikanten, die sich bis


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