Der Orchideengarten
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl /\ Schriftleiter Alf von Czibulka
iSk
Erster Jahrgang A?l\ Fünfzehntes Heft
DIE VERFÜHRUNG
Von Kasimir Edschmid. Mit 3 Zeichnungen von E. Piaichinger-Coltelli.
n der Dämmerung wachte sie
auf. Die Vorhänge bogen
sich auseinander. LeBeaus
Kopf, sein Knie standen in
derMorgenleuchte, erlach-
te, sprang herein. Er näherte
sich ihrem Bett. Sie zitterte
unter der frischen Luft. Er
kam geschmeidig über den
Teppich. Sie zog die Beine
herauf bis unter die Brust. Aus seinem Mund
kam so viel Frische, und um die Raubtier-
zähne lag das Rosa des Fleisches so frucht-
reif, duftend und voll schönem Saft, dal? sie
daran alles vergaß. Er hob sie mit den Kissen
auf, schwebte sie schaukelnd hin und her, setzte
sie auf den Diwan: „Sie werden auf die Zofe
verzichten müssen.“ Er schlol? das Strumpfband
an ihr Korsett.
„Was ist?“, frug Daisy, in Strümpfen und
einem Beinkleid, das, großfaltig mit dünnen
zahlreichen Plissees ihre schmalen Hüften um-
zischte. Sie bürstete das Haar zurück, die
Muskeln liefen aus dem Arm in den Rücken
mit einer Kraft und Grazie wie Meer. Er hob
den Mund in die freie Achselhöhle.
„Auch auf das Bad.“ Er lächelte und stiel?
den Löffel in den Schuh. Er pfiff leise vor sich
hin, suchte im Boudoir den kleinen Koffer,
wählte in ihren Strümpfen, Dessous, warf zwei
Necessaires hinein. Der Geruch der aufge-
wühlten Sachen erfüllte das Zimmer. „Wo-
hin?“, frug sie ratlos, von innen lachend. Er
schob Schubladen zu mit dem Knie, besah sich
im Spiegel, ril? sie an sich: „Du wirst es jede
halbe Stunde dem Chauffeur sagen.“ Alles ge-
packt. Er gab den Koffer durchs Fenster. Eine
Hand fal?te ihn draußen, während Daisy die
Nägel einrieb. Vögel schlugen herein, immer
lauter, zogen sich an Rufen höher, immer an-
dere fielen ein, kreisten auf. Büsche dufteten
herüber, herein mit einer Gewalt und Hingabe,
daß sie stehen blieb, ergriffen, gehalten. Sie sah
um auf der Terrasse, das Gitter, die Päonien.
Sie faßte den Schaukelstuhl. Verweilte auf
dem Tisch, dem Springhrunn, der Flosse eines
Goldfischs. Le Beaus Arme faßten unter ihre
Kniekehlen, der Schwung in die Luft riß sie
los. Nun fing er an zu laufen, schrie wieder
etwas, mit großen Sätzen, sprang in denWagen.
Unter den tutenden Raubvogelrufen der Hupe
brach wie ein gläsernes Gebäude die Stille,
das Haus, der Park mit einem Ruck entzwei.
Sie schwankte, schmiegte sich in die Atmo-
sphäre, reckte sich, faßte Fuß. Wirkung ging
von ihr aus. Ihre Wünsche erfüllten sich, eh
sie sie dachte. Die Inbrunst einer Blutwelle
hüllte sie ein, verließ sie nie. So stieß sie an
alles, durch die Wolke verhüllt. Die Lippen
hochrot, die Finger voll Gestein, fuhr sie auf
der Rue de Rivoli. Sie hatte den Hauterfolg.
Trotz dunkler Tönung war sie durchsichtiger
als die französische, schimmerte weiß auf Silber.
Zwischen alten Tapeten, in Musik, bei den ge-
pflegtesten Frauen fiel ihre Bewegung, selbst
wenn sie den Finger nur hob, den Fuß umrückte,
wild heraus, schlug ein, machte sie zur Mitte,
lenkte das andere ab, schob alles gegen sie. Es
verwirrte am Anfang sie etwas. Doch schloß
die V/elle sie ab. Sie hatte nur Klang und
Richtung nach einem. Es genügte. Gab der große
Schneider, während Ballen vor ihr sich häuf-
ten . . . Manekins paradierten, um ihren ermü-
deten Blick zu erfrischen, durchs Fenster im
Parkschatten das Bild eines tanzenden Balletts,
erstaunte sie nicht mehr, es glitt ab. Vorüber
I
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl /\ Schriftleiter Alf von Czibulka
iSk
Erster Jahrgang A?l\ Fünfzehntes Heft
DIE VERFÜHRUNG
Von Kasimir Edschmid. Mit 3 Zeichnungen von E. Piaichinger-Coltelli.
n der Dämmerung wachte sie
auf. Die Vorhänge bogen
sich auseinander. LeBeaus
Kopf, sein Knie standen in
derMorgenleuchte, erlach-
te, sprang herein. Er näherte
sich ihrem Bett. Sie zitterte
unter der frischen Luft. Er
kam geschmeidig über den
Teppich. Sie zog die Beine
herauf bis unter die Brust. Aus seinem Mund
kam so viel Frische, und um die Raubtier-
zähne lag das Rosa des Fleisches so frucht-
reif, duftend und voll schönem Saft, dal? sie
daran alles vergaß. Er hob sie mit den Kissen
auf, schwebte sie schaukelnd hin und her, setzte
sie auf den Diwan: „Sie werden auf die Zofe
verzichten müssen.“ Er schlol? das Strumpfband
an ihr Korsett.
„Was ist?“, frug Daisy, in Strümpfen und
einem Beinkleid, das, großfaltig mit dünnen
zahlreichen Plissees ihre schmalen Hüften um-
zischte. Sie bürstete das Haar zurück, die
Muskeln liefen aus dem Arm in den Rücken
mit einer Kraft und Grazie wie Meer. Er hob
den Mund in die freie Achselhöhle.
„Auch auf das Bad.“ Er lächelte und stiel?
den Löffel in den Schuh. Er pfiff leise vor sich
hin, suchte im Boudoir den kleinen Koffer,
wählte in ihren Strümpfen, Dessous, warf zwei
Necessaires hinein. Der Geruch der aufge-
wühlten Sachen erfüllte das Zimmer. „Wo-
hin?“, frug sie ratlos, von innen lachend. Er
schob Schubladen zu mit dem Knie, besah sich
im Spiegel, ril? sie an sich: „Du wirst es jede
halbe Stunde dem Chauffeur sagen.“ Alles ge-
packt. Er gab den Koffer durchs Fenster. Eine
Hand fal?te ihn draußen, während Daisy die
Nägel einrieb. Vögel schlugen herein, immer
lauter, zogen sich an Rufen höher, immer an-
dere fielen ein, kreisten auf. Büsche dufteten
herüber, herein mit einer Gewalt und Hingabe,
daß sie stehen blieb, ergriffen, gehalten. Sie sah
um auf der Terrasse, das Gitter, die Päonien.
Sie faßte den Schaukelstuhl. Verweilte auf
dem Tisch, dem Springhrunn, der Flosse eines
Goldfischs. Le Beaus Arme faßten unter ihre
Kniekehlen, der Schwung in die Luft riß sie
los. Nun fing er an zu laufen, schrie wieder
etwas, mit großen Sätzen, sprang in denWagen.
Unter den tutenden Raubvogelrufen der Hupe
brach wie ein gläsernes Gebäude die Stille,
das Haus, der Park mit einem Ruck entzwei.
Sie schwankte, schmiegte sich in die Atmo-
sphäre, reckte sich, faßte Fuß. Wirkung ging
von ihr aus. Ihre Wünsche erfüllten sich, eh
sie sie dachte. Die Inbrunst einer Blutwelle
hüllte sie ein, verließ sie nie. So stieß sie an
alles, durch die Wolke verhüllt. Die Lippen
hochrot, die Finger voll Gestein, fuhr sie auf
der Rue de Rivoli. Sie hatte den Hauterfolg.
Trotz dunkler Tönung war sie durchsichtiger
als die französische, schimmerte weiß auf Silber.
Zwischen alten Tapeten, in Musik, bei den ge-
pflegtesten Frauen fiel ihre Bewegung, selbst
wenn sie den Finger nur hob, den Fuß umrückte,
wild heraus, schlug ein, machte sie zur Mitte,
lenkte das andere ab, schob alles gegen sie. Es
verwirrte am Anfang sie etwas. Doch schloß
die V/elle sie ab. Sie hatte nur Klang und
Richtung nach einem. Es genügte. Gab der große
Schneider, während Ballen vor ihr sich häuf-
ten . . . Manekins paradierten, um ihren ermü-
deten Blick zu erfrischen, durchs Fenster im
Parkschatten das Bild eines tanzenden Balletts,
erstaunte sie nicht mehr, es glitt ab. Vorüber
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