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DIE ASCHEN URNE

Von Willielm NKi 1. (Mit drei Zeichnungen von Wilhelm Heise)

BIS vor kurzem Latten Meilers einen leben-
den Großvater, aber jetzt war er tot.

Es sei nichts gegen die gute, alte, etwas un-
bequeme Institution lebender Großeltern gesagt;
sie bat ibre Lichtseiten. Der Besitz eines Groß-
vaters (lebend) — Großmütter eignen sich schon
weniger dafür — gibt, wenn er nur einiger-
maßen repräsentabel ist, einer Familie so etwas
wie patinierte Solidität, er verleibt wohlha-
bender Bürgerlichkeit einen diskret schim-
mernden Untergrund von Stammbaumahnen-
stolz. Die Zweckmäßigkeit tritt hinter Prestige-
gründen zurück, wie bei einem alten, ehrwür-
digen Erbstück : man kann es zu nichts brauchen,
aber man zeigt es gern herum.

Frau Käte Meller, geborene Rummeling, in
deren Hause der Hofrat i. P. Theobald Rum-
meling gelebt batte und jetzt aufgebahrt war,
vergoß bittere Tränen. Frauen hängen sehr an
altem Hausrat.

Auch ihr Mann, Herr Arnold Meller, zeigte
einige Betrübnis. Da er von unten herauf-
gekommen war und nicht einmal tote Groß-
eltern von Belang aufweisen konnte, hatte er
sich zwar immer etwas bedrückt gefühlt, es
aber geduldig hingenommen, daß sich seine Frau
im Hause einen Großpapa hielt. Der gute alte
Herr mit seinen lieben Eigenheiten! Wo er
ging, träufelten weise Erfahrungssätze von
seinen Lippen, wurde seine Umgebung mit Er-
innerungen bis zur Erschöpfung bedacht; un-
ermüdlich belehrte er alle, die ihm nahekamen,
und duldete keinen W'ider-
spruch; beständig war eine vom
Hauspersonal abgezweigte Spe-
zialtruppe unterwegs,um ihm die
Brille, den Schlüsselbund, die
Zeitung, das Taschentuch und
die weggelegte brennende Zigarre
suchen zu helfen; nachts wan-
derte er, wenn er nicht schla-
fen konnte, unternehmungslustig
durch die Wohnung und ließ,
ohne an die Ruhe- und anderen
Bedürfnisse des jungen Ehepaares
zu denken, im Speisezimmer das
Grammophon spielen, das einzige

„neumodische Ding“, das er leiden konnte, dieser
... dieser liebe, alte wunderliche Herr! Friede
seiner Asche!

Die Vertreter der Friedhofsindustrie schnüf-
felten und flatterten schon im Trauerhause um-
her, aber der Agent eines Leichenverbrennungs-
unternehmens (die durch die Konkurrenz schon
gezwungen waren, um die fettesten Bissen zu
raufen) schlug sie aus dem Felde. In wohl-
geölter, glattpolierter Ansprache, die nicht die
kleinste Fuge zum Ansetzen eines Widerspruchs
bot, setzte er die Vorteile der Feuerbestattung
auseinander. Frau Käte fand den Vorschlag
zu nett; da konnte man ja Großvater auf den
Kaminsims stellen und herumzeigen und konnte
eine prachtvolle Urne anschafifen. Frauen sind
praktisch und Käte wollte aus Großvater einen
Kunstgegenstand herausschlagen. Ihr Mann
wieder wollte ungern die Überreste eines wenn
auch noch so lieben Verstorbenen im Speise-
zimmer herumstehen haben, drückte sich aber
anders aus, indem er meinte, es sei wenig pie-
tätvoll, Großvater auf dem Kaminsims zur
letzten Ruhe zu betten.

„Sie erhalten drei Liter prima phosphorsau-
rer Kalkasche in einer eleganten, mattschwarz
lackierten Blechkapsel mit feinen Goldlinien“,
versicherte der beharrliche Agent. Er kam aus
der Konservenhranche und verwendete aus
alter Gewohnheit auf Quantum, Qualität und
Ausstattung die stärkste Betonung.

Der Agent setzte, von Käte unterstützt, seinen
W'illen durch. Der Hofrat i. P.,
der außer dem Grammophon die-
se neumodischen Dinge nicht
leiden konnte, wurde in einem
pompösen Krematorium, das aus-
sah wie ein verunglücktes Hof-
theater, hei 1000° C. rauch- und
geruchlos verbrannt;Metallsarg,
Kleider, Blumen und die übrige
Garnierung wurden in Aschen-
form durch den Schornstein in
die Luft gehlasen und er selbst
in eine Blechkapsel gefüllt und
sauber verlötet. Bald darauf
prangte er in einer herrlichen

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