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Der Orchideengarte

Phantasti

Herausgeber Karl Hans Strobl

Zweiter Jahrgang

sehe Blätter

Schriftleiter Alf von Czibulka

Drittes Heft

DER BALL

Eine Novelle des Fürsten W. Odojewski, übertragen von Johannes von Guenther.

VON Stunde zu Stunde wurde der Ball rau-
schender. Ein leichter Qualm schwankte
über den unzähligen, immer trüber brennenden
Kerzen, und nur undeutlich, fast flimmernd
gewahrte man durch den Nebel die schweren
Tuchportieren, die marmornen Vasen, die gol-
denen Quasten, die Basreliefs, die Kolonnen
und Bilder; von den entblößten Brüsten der
schönen Frauen kam es wie ein sch wüler Hauch,
und häufig, wenn die Dämpfe, von denen man
glauben konnte, sie entquollen der mächtigen
Hand eines Zauberers, in schnellem Vorbei
vor den Augen vor üb er glitten, — ja, dann
konnte man glauben, man befände sich in den
wasserlosen Wüsten Arabiens und es wehe
ein heißer, ein erstickender Wmd; und von
Stunde zu Stunde lösten sich die wohlriechen-
den Locken immer mehr; der zerdrückte Flor-
schleier wurde immer nachlässiger um die
glühenden Schultern geschwungen; immer
schneller schlugen die Pulse; immer häufiger
begegneten sich die Hände und näherten sich
die flammenden Gesichter; verlangender wur-
den die Blicke, Lachen und Flüstern wurde
hörbar; die Greise erhoben sich von ihren
Sesseln, sie streckten die kraftlosen Glieder,
und in ihren halberloschenen, starren Blicken
mischten sich bitterer Neid mit den tollen Er-
innerungen, — und das alles wirbelte vorüber,
sprang und raste in der wollüstigsten Ent-
zückung ...

Auf einer kleinen Estrade glitten wimmernd
die Bögen über die gespannten Saiten; dort tre-

Le «angiot con eiste. ainsi que ]e rirc, ec une expiration
«ntreccrapte, ayant lieo de la m£me moniere . . .

Ueacn-ption anatomique de Lorgsuiisme Lumaia.

molierte die Grabesstimme des Waldhorns
und der gleichmäßige Schall der Pauken klang
wie ein höhnisches Gelächter. Das Gesicht
des ergrauten Kapellmeisters zeigte ein Lächeln,
er war außer sich vor Entzückung, und unab-
lässig beschleunigte er die Tempi, wobei er die
ermüdeten Musikanten nicht nur durch Blicke,
sondern auch durch Körperbewegungen an-
feuerte.

— Habe ich nicht recht behalten? flüsterte
er mir mit abgerissenen V/orten zu, ohne da-
bei den Bogen sinken zu lassen: — habe ich
nicht recht? ich sagte, ich würde den Ball be-
leben — und ich habe mein Wort gehalten.
Alles liegt in der Musik; man versteht sie nur
nicht auszuüben; sie ist es, die einen von seinem
Platz aufzwingt, sie ist es, die die Tanzenden
unwillkürlich in Trunkenheit versetzt; in den
Werken berühmter Musiker findet man Stellen,
die sonderbare Wirkungen hervorrufen, —
und diese Stellen habe ich gut zusammenge-
stellt — darin liegt das ganze Geheimnis, —
hören sie, da: das ist das Weinen Dona Annas,
wenn Don Juan sie verspottet, hier ist das
Stöhnen des sterbenden Komodores; nun der
Augenblick, in dem Othello an seine Eifersucht
zu glauben beginnt — und dies ist Desdemonas
letztes Gebet

Und noch lange fuhr der Kapellmeister fort,
mir alle die Qualen der Menschen aufzuzählen,
die in den Werken der berühmten Musiker zu
Tönen wurden; aber ich hörte ihm nicht länger
zu — ich bemerkte in der Musik etwas Selt-

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