Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DAS TREIBHAUS

WUNDERLICHES UND ABSONDERLICHES

Ein sonderbares Erlebnis erzählt ein fran-
zösischer Offizier, Gustave Bojanau, in der
Aprilnummer der Zeitschrift „l'Initiation“ vom
Jahre 1893. Seine Eltern wohnten inmitten
einer kleinen, nur aus wenigen Häusern be-
stehenden ländlichen Siedelung und hatten als
Nachbarin eine etwa 40 — 45jährige Bauern-
frau, Frau B., die unter der Bevölkerung in dem
Rufe stand, dal? sie hexen könne, und zwar
wurde behauptet, sie verwende ihre magischen
Kräfte im üblen Sinn. Der Offizier selbst be-
obachtete, dal? ein seinen Eltern gehöriger
Schäferhund nicht nur eine außerordentliche
Abneigung gegen Frau B. zeigte, sondern sie
anscheinend auch haßte und fürchtete, und er
erzählt mehrere diesbezügliche Erlebnisse, auf
die hier nicht eingegangen sein soll. Einmal,
als er sich während eines Weihnachtsurlaubes
zu Hause befand, kam es neuerdings zu einer
Szene, die zeigte, daß die Frau auf den Hund
in bösem Sinn einzuwirken suchte. Das Tier
heulte und schrie wie von einem Steinwurf
getroffen, obgleich eine direkte Berührung mit
der an ihrer Haustüre stehenden Frau nicht
stattfand, und lief mit allen Zeichen des Ent-
setzens davon, so daß Bojanau große Mühe
hatte, den Hund überhaupt zu sich heranzu-
rufen. Schließlich gelang ihm dies aber doch,
und „Sokol“ — dies der Name des Schäfer-
hundes — überwand seine Furcht so weit, daß
er nicht nur endlich herbeikroch, sondern sich
außerdem plötzlich wütend auf die Frau zu
stürzen suchte, welche eben noch rechtzeitig in
ihr Haus zurücktrat und die Türe hinter sich
zuschlug. Der Hund heulte und kratzte wütend
an der Haustüre, als wolle er sich den Eingang
erzwingen, und schließlich mußte der Offizier
ihn mit Hilfe eines Freundes gewaltsam am
Halsband weg ziehen. Dieses kleine Erlebnis
bildet gewissermaßen das Vorspiel zu dem
eigentlichen Abenteuer, das sich in der darauf-
folgenden Nacht begab. Gustave Bojanau schlief
nicht im Hause seiner Eltern, sondern in einem
leerstehenden Nebengebäude, in das er sich
etwa um 11 Uhr nachts begab, begleitet von
einer Magd und dem Hund „Sokol“, die ihn

beide schon nach wenigen Minuten wieder
verließen. Sein Schlafzimmer lag im ersten
Stock und war durch eine leere Stube von der
Treppe getrennt. Die Türe zwischen den bei-
den Räumen stand offen und der Türflügel
ragte in das Schlafzimmer herein, bis an das
Fußende der Bettstelle. Dagegen hatte der Offi-
zier sowohl die Haustüre als die Türe zwischen
der Treppe und dem Vorzimmer verschlossen —
erstere war versperrt, letztere nur zugeklinkt
Er legte seine Uniform ab und hing seinen
Kavalleriesäbel an eine Stuhllehne neben dem
Bett, legte sich nieder und blies das Licht aus.
Kaum war das letztere geschehen, so ließ sich an
der Türe des äußeren Zimmers ein Kratzen
hören, das klang, als ob ein Hund Einlaß ver-
lange oder, besser gesagt, hinaus wolle. Denn,
dies war das Auffallende, es wurde innen
an der Türe gekratzt. Der junge Mann rief
„Sokol“ — um den allein es sich wohl handeln
konnte — wiederholt beim Namen, aber der
Lärm wurde nur noch stärker, und kurz ent-
schlossen stieß er, wütend über die Störung, mit
dem Fuß heftig gegen die offenstehende Türe,
die krachend zufiel. Im gleichen Augenblick
begann das Kratzen an dieser zweiten Türe,
so, als wolle der im Vorzimmer befindliche
Hund nunmehr im Schlafzimmer Einlaß be-
gehren. Der Offizier schreibt, daß er von An-
fang an die Empfindung hatte, als ob es nicht
mit rechten Dingen zuginge, und das gewaltsame
Schließen der Türe durch einen Fußtritt ent-
sprang hauptsächlich der Furcht vor dem un-
heimlichen Ereignis. Aber der Krach, den das
Zuschlägen verursachte, machte Bojanau Mut.
Er zündete die Kerze an, und in dem gleichen
Moment hörte das Kratzen auf. Dann beklei-
dete er sich notdürftig und trat in das Vor-
zimmer. Natürlich fand er hier den Hund, der
ja mit der Magd das Haus verlassen hatte, nicht
vor. Er rief vergebens dessen Namen, auch im
Korridor und auf der Treppe war kein leben-
des Wesen zu finden, und schließlich legte er
sich aufs neue zu Bett. Kaum war die Kerze
ausgeblasen, so begann der Lärm abermals mit
größter Heftigkeit, und zwar an der Zwischen-

i 6
 
Annotationen