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Der Orchideengarten

Phantastische Blätter

Herausgeber Karl Hans Strobl

Zweiter Jahrgang

Schriftleiter Alf von Czibulka

Sechstes Heft

DER WILLE ZUM TODE

Novelle von Kurt Moreck. (Mit drei Illustrationen von Karl Ritter)

CH hatte an diesem Tage
die schlimmste Enttäu-
schung meines Lebens er-
litten. Nun wui?te ich
mit brutaler Sicherheit,
dal? Luzie mich schmäh-
lich betrog, und mit diesem
Gedanken im Hirn kauerte ich schon stunden-
lang in meinem Zimmer wie ein angeschossenes
Tier, das sich verkrochen hat. Betäubende
Bilder ihrer verruchten Schönheit flimmerten
an meinen Augen vorüber und quälten meine
Nerven. Die Dämmerung wurde körperlich
und umschmiegte mich mit der Sinnlichkeit
der gehabten Frau. Gegen meine Visionen
konnte ich mich nicht wehren. Ich sagte mir,
ein anderer würde vielleicht hingehen und sie
einfach erschießen, aber ich fühlte mich nicht
imstande dazu. Ich wußte, daß meine Nerven
dabei versagen würden, und das Bewußtsein
der Ohnmacht reizte mich noch stärker. Es
wäre mir jetzt eine Wollust gewesen, Luzie
sterben zu sehen; jede Zuckung ihres Körpers
würde mir wie eine hinreißende Zärtlichkeit
erschienen sein; aber ich konnte keinen Finger
rühren zu einer Tat.

Lautlos brannte die gedämpfte elektrische
Tischlampe. Hinter meinem Rücken knisterte
die Dunkelheit, und ich fühlte den Messingtür-
griff wie ein feiges Tierauge blinken. Endlich
wurde diese Einsamkeit mir unerträglich, ich
sprang auf und schüttelte die Stille von mir ab.
Ein harter Wind sprang mir draußen entgegen.
Es tat wohl, das Gesicht seinen Bissen hinzu-

halten. Ich ging durch die trübe, sumpfige
Finsternis von ein paar Straßen, die von elektri-
schen Bleichmonden durchphosphort waren.
Plötzlich stand ich vor meinem Cafe. Hinter
den behauchten Scheiben sah ich die fahlen
Gesichter von ein paar Freunden. Sie sprachen
vielleicht im selben Augenblick von mir, aber
ich sah nur, daß sie den Mund bewegten und
lächelten. Das gab groteske Verzerrungen in
ihren Gesichtern, und ich hatte das Gefühl,
drei Leichen, mit Zigaretten zwischen den
Lippen, säßen um einen Tisch. Das ganze Lokal
hinter den großen Fenstern erschien mir plötz-
lich wie eine Morgue; ich sah bleichen Mar-
mor, verrenkte und lachende Tote, fahlen
Lichtschein. Als ich mich abwandte, schwand
die Vision. Meine Nerven waren entsetzlich
überreizt. Ich mußte sie abregen, mich irgend-
wie in Gedankenlosigkeit einhüllen und lief
weiter.

Die Abenddunkelheit trug mich wie eine
starke Strömung. Plötzlich warf sie mich in
eine grelle Woge von Licht. Ein flimmerndes
Portal klaffte in der finstern Fassade eines
großen Hauses. Schreiende Buntheiten von
Bildern richteten sich vor mir auf und zogen
meine Nerven an. Ich starrte auf die lächerlich
pathetische Darstellung übertriebener Vor-
gänge, und das unerbittliche Licht beizte meine
aus dem Dunkel kommenden Augen.

Ich wollte Vorbeigehen, aber nun stand ich
in einem dicken Gedränge von Menschen und
empfand eine Bewegung zu dem leuchtenden

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