Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Portal des Kinematographen hin. Jede Be-
rührung der Fremden fühlte ich schmerzlich
auf meiner Haut. Vielleicht konnte ich aber
hier Gedankenlosigkeit finden und meine Ner-
ven und Muskeln ahspannen, mein Gehirn ein-
dämmern lassen.

Ein wenig später saß ich in einer kleinen
Loge. Unter mir im Dunkel kauerten die Zu-
schauer unbeweglich wie Fische, die mit nach
unten gesenkten Köpfen schlafen. Eine weiche,
schläfrige Musik kam aus dem Orchesterraum.
An der Projektionswand flimmerten dieBilder.
Als ich hinschaute, sah ich eine riesige Katze
auf einem Bette sitzen, die mit schillernden
Raubaugen in den Zuschauerraum blinzelte.

In einer kleinen Pause flammten die Lichter
des Saales auf, und ich lehnte mich mit ge-
schlossenen Augen in meinen Sessel zurück.
Unter mir vergingen die kleinen Geräusche des
Kommens und Gehens, und wieder wurde es
still und finster. Ich starrte auf die flimmernde
Fläche, auf die nervöse, schattenhafte Bewe-
gung, um deren Sinn ich mich nicht kümmerte.
Mein Hirn ruhte: ich fühlte die Untätigkeit,
die animalische Trägheit wie ein weiches
Glück. Etwas raschelte hinter mir in der Loge,
ein kleines Rauschen von Seide. Ich war jetzt
nicht mehr allein, aber ich beachtete es nicht.
Ein Frauenparfüm wehte mich an, ein starkes,
auf die Straße berechnetes.

Eine Reihe von Bildern flirrte vorüber. Die
Musik und das Geflimmer hüllten mich in
Dumpfheit. Aber plötzlich zuckte ich zusam-
men. Ich hatte ein Gesicht gesehen, das mir
nicht fremd war, das mich irgendwie jäh an-
rührte. Aber nun war es fort. Vielleicht hatte
ich mich getäuscht. Gespannt blickte ich in
die gestaltenreiche Bewegung auf der Projek-
tionswand, in die jetzt ein Sinn kam. Da war
es wieder, das Gesicht. Zunächst sah ich nur
ein feingeschwungenes Frauenprofil. Langsam
drehte sich mir das Antlitz zu, und einen
Augenblick war es, als streife mich ein Blick
aus diesen Augen. Und an diesem Blick er-
kannte ich sie, Marfa Werinskaja. Sie war
mir ein paarmal im Lehen begegnet, diese kleine
Schauspielerin, die so andächtig von der Kunst
sprechen konnte, und ich erinnerte mich, daß
ich von Freunden gehört hatte, sie lebe jetzt
in dieser Stadt.

Nun begannen die Geschehnisse auf der
weißen Wand mich zu interessieren, solange
wenigstens, wie Marfa Werinskaja auf der
Szene war, und sie verschwand nur für kurze
Augenblicke. Sie spielte die Liebende in einem
Trauerspiel -der Leidenschaft. Die Menge
unter mir kauerte geduckt und atemlos. Jemand
hinter mir schaute mich unausgesetzt an. Ich
fühlte den unverwandten Blick auf meinem
Rücken; er schien mich zwingen zu wollen,
daß ich umsah. Aber ich kämpfte dagegen;
ich meinte, ich müsse mir den Besitz von soviel
Energie beweisen, daß ich dem fremdenWillen
widerstehen konnte, und ich konzentrierte
meine Gedanken auf die hinsurrenden Bilder
des Films. Immer sah ich nur Marfa V/erins-
kaja; ich sog mich an ihrer Erscheinung, an
ihrem Gesicht, an ihren Augen förmlich fest.
Auf der Flucht vor dem Blick, der mir den
Rücken hinauftastete und meinen Nacken
krampfhaft zurückdrehen wollte, klammerte
ich mich an sie. Marfa Werinskajas Erschei-
nung faszinierte mich. Sie wirkte irgendwie
auf meine Nerven. Ich verlor ganz das Gefühl
für die Unwirklichkeit der Bilder, und Marfas
Spiegelung erschien mir wie ihre körperliche
Gestalt. Plötzlich hörte ich sogar ihre Stimme
deutlich und klar im Ohr, obschon ihre Schat-
tengestalt vor mir nur immer tonlos die Lippen
bewegte.

In einem Zwischenakt endlich, als die Lichter
auf blitzten und mir Marfas Erscheinung ent-
schwunden war, konnte ich dem Willen der
Augen hinter mir nicht länger widerstehen und
drehte mich um, so langsam und gleichgültig,
als ich vermochte. Ein paar matt flammende
Augen glommen mich aus einem gepuderten
Mädchengesicht an und lächelten mir zu. In
eine weiche Pelzjacke gehüllt, lehnte die hüb-
sche Unbekannte in der Logenmuschel. Ihr Fuß
berührte meinen Stuhl. Dieser Kontakt war
eine zweite Fessel für mich. Aber mit einem
brutalen Ruck, zu dem ich meine ganze Energie
aufgespart hatte, machte ich mich davon los.
Jetzt war auch der Blick machtlos geworden,
und ich lächelte listig vor mich hin. Sie hatte
ihre Zeit und ihren Willen an mich umsonst
verschwendet.

Jetzt war Marfa wieder da. Uber einen
dunklen und mir leer erscheinenden Raum hin-
weg sah ich sie stehen, gehen, handeln und

2
 
Annotationen