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sprechen. Die Geschehnisse spitzten sich zur
Katastrophe zu, und ich verfolgte, ganz in Bann
genommen durch Marfas erschütternde Lei-
densfähigkeit, die Wandlung eines liebesanf-
ten Geschöpfes zur Bekennerin und Märtyrerin
der Leidenschaft. Es kam schließlich eine Szene,
in der die Verlassene in ihrer Verzweiflung
Gift nahm, und nun sollte ich Marfas Sterben
erleben. Meine Hände zitterten leicht.

Marfa warf einen fremden, aufgelösten Blick
um sich, einen Blick, mit dem sie Glück und
Schmerz ihres Le-
bens summierte. In
diesem Augenblick
hatte sich ihr Ge-
sicht ein wenig
verändert, und ihre
Augen berührten
mich merkwürdig.

Sie erinnerten
mich; dieser Aus-
druck war mir
irgendwo schon
begegnet. Nun sah
ich wieder ihr gan-
zes Gesicht, und es
blieb mir im Auge.

Jetzt wußte ich,
wem es glich.

Genau so war
Lüziens Gesicht.

Marfa glich Luzie.

Sonderbar... V?ar
es wirklich oder
täuschte ein Fieber
meine Augen? Ich
schaute schärfer
hin; es war kein
Spiel meiner Ner-
ven.

Marfa hatte das Gift genommen, und ihr
Körper spielte den Todeskrampf. Die Musik
erstarb fast, und ein frostiges Grausen kroch
über die Menge. Ich war in einen sonderbaren
Zustand versetzt; denn in mir war die Vor-
stellung erwacht, ich sähe Luzie sterben. Meine
Grausamkeit sättigte sich jetzt an den Zuk-
kungen des Körpers, in dem ich durch eine
seltsame Täuschung Luzie erblickte. Ich bildete
mir ein, mein V/unsch und mein Wille töte
die Geliebte, die mich hatte leiden machen.

und ich genoß die Genugtuung, sie vernichtet
und zerstört zu sehen, mit einem wahnsinnigen
Behagen.

Das Aufflammen der Saallichter zerriß
meine Vision und rüttelte mich auf. Da fühlte
ich enttäuscht, daß der Vorgang Spiel gewesen,
und der alte Schmerz überfiel mich wieder.
Taumelnd stand ich auf. Da berührte eine
fremde warme Hand meine Finger. Ich sah
das Lächeln des Mädchens in der Loge vor mir,
den schwimmenden Glanz seiner Augen und

das rote Leuchten
seiner Lippen. Jetzt
war der Blick, der
mich vorhin hatte
zwingen wollen,
demütig und sanft.
Ein stilles Grauen
vor dem Erlebten
zitterte noch in mir
nach, und ich
schlich mich
hinaus. Kühle
Nachtluft duschte
meinen glühenden
Kopf.

Da fiel mirMarfa
Werinskaja wie-
der ein. Ihre Er-
scheinung verfolgte
mich. Im Dahin-
schreiten durch
finstere Straßen er-
lebte ich immer
wieder die Mo-
mente ihres Ster-
bens. Das Bild
ihres Körpers in
den letzten Lebens-
zuckungen war in
meinem Auge haften geblieben.

In einer mir ganz fremden Straße blieb ich
plötzlich stehen. Da huschte ein Schatten zu
mir herüber und schmiegte sich weich an meine
Seite. DasMädchen aus der Loge. Der Flacker-
schein einer Laterne verzerrte sein Lächeln zu
einer gräßlichen Grimasse, und ich drehte

mich entsetzt um und lief davon. Das Mäd-

chen muß mich für irrsinnig halten, dachte ich.

Ich ging nach Hause und legte mich zu Bett.
Aber ich schlief schlecht; fortwährend wachte

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