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Aus dem schwarzen Schlund, der am leben-
den Pietor Meckschero Mund gewesen war,
stand entsetzlicher Aashauch, der wie lange
Rauchfahne steif nachzog: alle Fische erbrachen
sich vor Angst.

Bleizäh rutschte der Strom zwischen den
flachen Ufern fort. Eingeschmolzen der auf-
gedunsene Leichnam. Durch schwarze Brücken
schob die bleierne Masse breite Löcher.

Ein Ungeheuer hatte die Luft aufgesogen:
kalte Stille hockte an Ufern, auf Brücken, über
dem trägen Wasser. Es gab keinen Laut.

Die Augen der Leiche waren aus dem Schä-
del gesprungen und lagen neben ihr stier auf
der Bleidecke.

Als die Fahrt durch eine finstere Brücke
ging (rings stauten sich pralle Mauern schlafen-
der Großstadt, spitze Türme, spießend zart-
junge Sterne), spuckte einer auf den prallen
Gasometer. Er schwoll immer beängstigender.

Der Aashauch stand giftig über dem zer-
fressenen Mund. Quoll immer dicker heraus.
Fiinein sickerte Ersatz, schwarze Nacht. Mehr
und mehr.

Die Stadt baute sich breiter umher. Aber
nirgends brannten Lichter in den Fenstern.
Immer häufiger kippten Brücken über den
Strom. Sie brachen fast vor stummer Last
schwarzen Menschengewimmels.

Das flüssige Blei schabte knirschend an den
Kaimauern. Kroch immer höher. Alle Men-
schen auf den Brücken starrten bleich auf das
steigende ^Vasser. Breit der gedunsene Leich-
nam darauf. Nacht quoll in breiten Strömen
durch den Mund.

Die Ufer begannen überzutreten. Ungeheuer
sahen die Menschen in der Nacht den schwar-
zen Koloß antreiben. Sie schrien entsetzt :
Rettet euch! Überschwemmung!

Sie schrien gellend, alle Häuser bogen sich
irr vor Angst. Die Brücken schrien.

Da hing die Leiche an einem Brückenbogen
fest: zu klein der Bogen. Quoll fort und fort.
Stetig drückte die Bleimasse des Stroms. Ha! —
donnernd riß die Brücke auseinander. Alle
Menschen fielen in das zähe Blei, krepierten.

Die Türme drehten ihre Hälse empor, roll-
ten ihre roten Uhraugen wie Feuerfrösche und
brüllten mit dumpfen Glocken. Alle Menschen
ertranken.

Die zerrissene Brücke war die letzte der
Stadt. Dann rutschte der Koloß wieder frei
zwischen wiesigen Ufern. Hätte er spielend
die Arme nach rechts und links geworfen, so
hätte er alle Bäume, die an den Ufern Parade
standen, pflücken können zu gigantischem
Strauß.

Er tat es nicht, sondern tastete um sich und
suchte seine Augen, die ihm aus dem Schädel
gesprungen und auf das Blei gefallen waren.
Er fand sie schnell wieder und drückte sie
grunzend in die Höhlen.

An einer scharfen Strombiegung hatte das
Quellen und Schwellen des Leichnams solche
Dimensionen angenommen, daß er sich zwi-
schen den Ufern klemmte und hängen blieb, daß
die Bleimassen unter ihm fortzogen. Doch sah
er oben über sich die silberne Mondkugel stehn
und herabhängen von ihr silberne Taue, die auf
der glatten Bleidecke schleiften. Er griff lang-
sam nach ihnen, erhaschte zwei und begann
prustend zu ziehen. Mit aller Kraft, daß der
Mond herabzustürzen drohte. Der Leichnam
zerrte und zog, riß sich aus Leibeskräften aus
dem zähen Blei. Bis er aufrecht stand.

Doch er mußte sich bücken; denn er stieß
an den Himmel, und seine Schultern wischten
Millionen Sterne von dem schwarzen Tuch.
Sie fielen insW^asser und schwammen zwischen
den Ertrunkenen. Die Mondtaue baumelten
weiter über dem Strom.

Der Leichnam aber stand ungeheuer an dem
Ufer und begann langsam, gebückt, landein-
wärts zu stampfen. Tief sanken seine Füße bis
an die Knöchel ein.

Die wenigsten haben ein Organ dafür, wahr-
zunehmen, wie erschreckend individuell der
Mosaikleib einer Stadt zu fühlen vermag. Wie
er atmend, lachend und weinend wie ein mäch-
tiges Tier auf dem Land liegt. Es gibt Tiere,
die sich in Todesangst totstellen, besinnungslos
am Boden liegen (also stellen sie sich nicht,
als ob, sondern die Angst reißt ihnen jäh die
Besinnung aus dem Hirn).

Die harten, ungeheuer amöbenartigen Stadt-
tiere liegen immer starr auf dem Land, unbe-
weglich, nur ihr Blut kreist fort in ihren
Straßenadern. Und oft stockt auch das urplötz-
lich, und die Städte liegen tot, verreckte Kada-
ver: irgendeine Angst sitzt in ihrem Nacken.

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