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Der Orchideengarten

Phantastische Blätter

Herausgeber Karl Hans Strobl

Zweiter Jahrgang

Schriftleiter Alf von Czibulka

Vierundzwanzigstes Heft

BABABEC UND DIE FAKIRE

Von Voltaire. von Alf von Czibulka. (Mit zwei Zeichnungen von Otto Linnekogel.)

Als ich in Benares, in der alten Heimat der
LBrahmanen, an den Ufern des Ganges
weilte, war ich bemüht, neue Erfahrungen zu
sammeln. Ich verstand das Indische leidlich,
spitzte die Ohren und sah alles. Ich wohnte
hei meinem Geschäftsfreunde Omri, der der
rechtschaffenste Mann war, den ich jemals
kannte. Er war seines Glaubens Brahmane;
ich seihst habe die Ehre Moslim zu sein. Wir
stritten uns niemals, wenn wir über Mohammed
oder Brahma sprachen. AVir vollzogen jeder
nach seinerWeise unsere Waschungen, tran-
ken von der gleichen Limonade und aßen wie
zwei Brüder den gleichen Reis.

Eines Tages wanderten wir zusammen zur
Pagode von Gavani. AVir trafen mehrere Grup-
pen von Fakiren, von denen die einen Dschangi
waren, was soviel besagen will wie beschau-
liche Fakire, die anderen Schüler der alten
Gymnosophisten, die ein Lehen der Taten führ-
ten. ^Vie man weil?, besitzen sie eine gelehrte
Sprache, die schon jene der ältesten Brah-
manen war und in dieser Sprache überdies
ein Buch, das sie die Veden nennen. Das ist
sicherlich trotz des Zenda-Avesta das älteste
Buch ganz Asiens.

Ich kam zu einem Fakir, der gerade eben
dieses Buch las. „Ha, elender Ungläubiger,*
rief er aus, „du hist schuld, dal? ich nun die
Zahl der Vokale, die ich zählte, vergessen habe.
Infolgedessen wird meine Seele nunmehr in
den Leih eines Hasen wandern, statt, wie ich
bisher hoffte, in den eines Papageis.* Da gab
ich ihm eine Rupie, um ihn zu trösten.

Nun mußte ich unglücklicherweise niel?en.
Und der Lärm, den ich dabei verursachte,
störte wiederum wenige Schritte weiter einen
Fakir, der sich gerade in Ekstase befand.

„Wo hin ich?“ fragte er. „Welch entsetz-
licher Sturz! Ich sehe meine Nasenspitze nicht
mehr und das himmlische Licht ist erloschen.“
(Wenn nämlich die Fakire das Licht des Him-
mels sehen wollen, was bei ihnen etwas durch-
aus Gewöhnliches ist, so schielen sie einfach
auf ihre Nasenspitze.)

Ich erwiderte: „Wenn ich etwa schuld
daran bin, dal? du endlich weiter als deine
Nasenspitze siehst, so nimm hier diese Rupie,
um das Übel zu tilgen, das ich verursacht
habe, und nimm nur getrost deine Beschäfti-
gung mit dem himmlischen Lichte wieder auf.“

Nachdem ich mich auf diese Weise sehr
taktvoll aus der Afifaire gezogen hatte, ging ich
zu den anderen Fakiren, zu den Gymno-
sophisten. Da waren einige, die mir kleine,
äußerst nette Nägel brachten, damit ich sie mir
zur Ehre Brahmas in die Arme oder Schenkel
stechen könne. Ich kaufte die Nägel und ließ
später meine Teppiche damit festheften. An-
dere tanzten auf den Händen, andere übten das
Seilspringen und wieder andere hüpften un-
unterbrochen auf einem Bein. Es gab auch
solche, die Ketten oder ein Gewicht schleppten.
Etliche hatten sogar ihren Kopf in einem
Scheffel stecken. Im übrigen aber waren sie
die umgänglichsten Leute der Welt,

Mein Freund Omri führte mich dann in die
Zelle eines der berühmtesten dieser Fakire. Der

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