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Grothe, Hugo [Bearb.]
Orientalisches Archiv: illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte u. Völkerkunde der Länder des Ostens — 1.1910/​1911

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Die Ausstellungen orientalischer Kunst des Jahes 1910.
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https://doi.org/10.11588/diglit.69602#0077
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Die Ausstellungen orientalischer Kunst des Jahres 1910.
I.

Die Ausstellungen von orientalischen
Teppichen zu Wien 1891, Stuttgart 1909
und München 1910.
Mit 2 Abbildungen auf 1 Tafel (XV).
Es war vor etwa 40 Jahren, als der Vertreter einer in
Manchester ansässigen Schweizer Firma das „schwere
Risiko“ auf sich nahm, auf seinen Handelsreisen in Persien
gegen buntbedruckte baumwollene Tücher alte persische
Teppiche in Umtausch anzunehmen. Werden sie denn
auch Abnehmer finden, diese abgetretenen, schmutzigen,
von den Eingeborenen selbst schmählich verkannten Ge-
webe? War denn nicht das Interesse für sie im Abend-
lande vollständig erstorben? Ja, gewiß. Und schüchtern
tastend mußte daher ihr Handel versucht werden. Hatten
die Perser diese Gegenstände mehr weggeworfen als ver-
kauft, so konnten sie ja auch um eine Kleinigkeit wieder
abgegeben werden. Um fabelhaft niedrige Preise wanderten
die heute auf Hunderttausende, ja Millionen geschätzten
Werke der hohen persischen Webekunst in die Hände
unserer Händler und von da in Museen nnd Paläste oder
zu kunstsinnigen Privatpersonen. Anstelle vieler nur ein
drastisches Beispiel, das von W. Bode in seinem Buch
„Vorderasiatische Knüpfteppiche“ veröffentlicht wird. Es
handelt sich um den berühmten Jagdteppich im Besitze
der Baronesse Adolph Rothschild in Paris, der vor etwa
33 Jahren aus der Hand des Marchese Torrigiani in Florenz
um ganze 150 Frs. an den Antiquar Stefano Bardini über-
ging, der ihn um 30000 Frs. nach Paris verkaufte. „Heute
würde er fast das zehnfache dieses Preises wert sein,“
setzte Bode dazu. Zehn Jahre später war es schon anders.
Zur Würdigung dieser Kunstwerke hat aber nichts soviel
beigetragen, als die so verdienstvolle Ausstellung alt-
orientalischer Teppiche im österreichischen Handelsmuseum
in Wien 1891, bei welcher schon alle wichtigen Typen
vertreten und übersichtlich geordnet waren. Bis dahin,
war es fast unmöglich gewesen, einen Überblick über die
einzelnen Arten zu gewinnen, weil jede Möglichkeit zu
Vergleichen fehlte. Der Katalog dieser Wiener Ausstellung
bildet heute noch eine wertvolle Fundgrube, und jene
Männer, welche ihn bearbeiteten, A. v. Scala, Alois Riegl,
Dr. Polak, E. v. Kuczynski, v. Rakowski u. a. erwarben sich
bleibende Verdienste. Den einzelnen Gegenständen wurden
treffliche Erläuterungen gewidmet; sie wurden mit allen
Hinweisen auf die Besonderheiten der Musterung und
Webart versehen, und überdies waren dem Katalog viele
gute Abbildungen von bleibendem Wert beigegeben.
Der Nutzen der Wiener Ausstellung zeigte sich bald,
auch in rein praktischer Hinsicht, zunächst besonders darin,
daß die moderne Teppicherzeugung der ganzen Welt un-
vergleichliche und unersetzliche Anregungen aus ihr empfing,
so daß selbst im Orient und zwar hauptsächlich in den
unter europäischer Leitung stehenden Faktoreien Indiens

nach den alten Originalen zu arbeiten begonnen wurde,
die in Wien ausgestellt und in dem großen Werk „Alt-
orientalische Teppiche, herausgegeben vom K. K. öster-
reichischen Museum für Kunst und Industrie 1892/96“ in
recht kostbaren Tafeln veröffentlicht worden waren. Die
Wirkung der Ausstellung zeigte sich aber auch in der
rasch zunehmenden Nachfrage nach Orientteppichen über-
haupt, so daß in den folgenden Jahren immer größere
Mengen morgenländischer Kleinteppiche aus den betreffenden
Gebieten aufzukaufen und auf den europäischen Markt zu
bringen waren.
Die Küstenländer des kaspischen Meeres, dann Tur-
kestan und Kleinasien, wo in den Händen der Eingeborenen,
von Generation zu Generation sich ansammelnd, ungeheuer
reiche Bestände lagen, wurden durch die nach Beute aus-
gesandten Händler erschlossen und leider nur zu bald auch
erschöpft. Alle diese Teppiche beruhten in ihrer Gesamter-
scheinung noch auf der alten, gediegenen, wenn auch ver-
flachten, so doch durch Jahrhunderte hindurch nie unter-
brochenen Tradition. So besaßen sie noch alle die bekannten
Vorzüge des besten Materials, echter, natürlicher Färbung
und sorgfältigster Arbeit. Sie waren mit einem Worte noch
Kunstwerke. Jahrzehnte lang hätte der unglaubliche Reich-
tum dieser Fundgruben für die europäischen Kunstbedürf-
nisse noch vorhalten können, aber mehr und mehr erwuchs
auch in Amerika eine Liebhaberei für sie, die schon nach
wenigen Jahren zur wilden Nachfrage anschwoll. Da be-
gann denn eine wahre Plünderung bis in die entlegensten
Gebiete des Orients hinein nnd mit Jammer im Herzen
mußte der Eingeweihte zusehen, wie die unersetzlichen
Früchte einer alten, gesunden und unwiederbringlichen
Kunstkultur um des Mammons willen in alle Welt zer-
streut wurden.
Daß die Geschäftswelt unter dem Anreiz eines solchen
Begehrens Mittel und Wege fand, um die lebende Be-
völkerung in den verschiedenen Produktionszentren zu
neuen Anstrengungen anzuregen, ist nicht zu verwundern.
Die Erzeugung von Orientteppichen steigerte sich denn
auch von Jahr zu Jahr, aber was in früheren Zeiten für
den eigenen Bedarf mit einer Hingabe, die keine Rücksicht
auf den Zeitaufwand zu nehmen hatte, gewebt wurde,
mußte nun für den abendländischen Markt billig und immer
billiger hergestellt werden. Dazu kam der verderbliche
Einfluß unserer Teerfarbenindustrie, und so begann diese
ganze Industrie in ihrem inneren Werte zu sinken. Auch
bezüglich der Musterungen wurde durch die Einfuhr
europäischer Gedanken eine heillose Verwirrung angerichtet.
Die alten Modelle waren weggegeben und vergessen, und
an ihre Stelle trat die Hilflosigkeit des heranwachsenden
Geschlechts. Einsichtsvolle Händler des Abendlandes
sahen die Dinge kommen und bereiteten sich zur Abhilfe
vor. Es mußte vor allem ein Schatz alter typischer Origi-
nale angesammelt werden, um auf seinem Grunde den
Weberinnen die vergessenen Muster in Gestalt von ge-
malten Patronen in die Hand geben zu können, was erfolg-

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