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annähern, bis sie im FluAtpunkt zusammenlaufen - diese Entdeckung
enthüllte einen WiderspruA zwischen Augenschein und Wirklichkeit,
zwischen der Raumordnung, wie sie dem Subjekt erscheint und wie
sie objektiv beschaffen ist. Die Auflösung dieses Widerspruchs, die
AufdeAung der darin verborgenen Gesetzlichkeit, diese Großtat des
forschenden und denkenden Geistes eröffnet jenes glanzvolle Zeitalter
der naturwissenschaftlichen Entdeckungen, in dessen weiterem Ver-
lauf Kopernikus und Galilei mit ihren Forschungen über das Verhält-
nis zwischen Erde und Sonne und über die Umdrehung der Erde solche
„Widersprüche" und die in ihnen verborgene kosmische Gesetzlichkeit
in größtem Stil aufdecken und lösen sollten. Was derartige umwäl-
zende geistige EntdeAungen für die Zeitgenossen bedeuten können,
vermögen wir Menschen des mittleren 20. Jahrhunderts vielleicht bes-
ser zu begreifen als die Generationen vor uns. Die Quantentheorie
von Max Planck, die Relativitätstheorie von Einstein, die Atomphysik
- diese revolutionären wissenschaftlichen Entdeckungen sind im Be-
griff, unser Weltbild völlig zu verändern und auf unsere ganze Lebens-
haltung tiefstens einzuwirken. Dabei wiederholt sich jenes innige Zu-
sammenwirken zwischen bildenden Künsten und Wissenschaft, das
für das Zeitalter der Renaissance so bezeichnend ist; wie die Perspek-
tive von Baumeistern, Bildhauern, Malern und Mathematikern ge-
meinsam erarbeitet wurde, so arbeiten jetzt Maler - Anhänger der
abstrakten Malerei! - und Physiker Hand in Hand; die Physiker
haben die verborgene Übereinstimmung zwischen ihren Theorien und
der abstrakten Malerei entdeckt; wissenschaftliche Illustrationen im
Stil der abstrakten Malerei, ausgearbeitet in ständigem geistigen Kon-
takt zwischen ihnen und den am Abstrakten geschulten Malern, schei-
nen ihnen das wirksamste Mittel, sich und der Welt Überlegungen
zu veranschaulichen, die sich jenseits der Erfahrungen des Sichtbaren
bewegen. - Bei der Entdeckung der Perspektive im
Quattrocento gelang die entscheidende Erkenntnis, wie es
scheint, einem Künstler, dem Schöpfer der Renaissancearchitektur:
Filippo Brunelleschi. Vasari berichtet darüber Folgendes^. „Filippo
beschäftigte sich viel mit Perspektive, worin man damals gar keine
Übung hatte und eine Menge Dinge falsA ausführte. Auf dies Stu-
dium verwendete er einen großen Teil seiner Zeit, bis er von sich aus
eine vollkommen richtige Methode fand: nämlich ihre Ableitung aus
dem Grundriß, dem Aufriß und dem Durchschnitt der Sehpyramide;
eine fürwahr äußerst sinnreiche und der Zeichenkunst sehr nützliche
Sache. Filippo fand ein solches Vergnügen daran, daß er den Platz
von S. Giovanni in Florenz mit allen den Abteilungen der schwarzen
und weißen Marmorfelder an der Kirche abzeichnete, wobei sie sich
auf eine sehr eigenartige Weise verkürzten" *3" (Textabb. X1H a, b).

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