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stützend, und blickt brütend zu Boden. In der Tempelpforte,
deren vorderer Thorflügel sich nun gleichfalls nach innen
öffnet, erscheint lautlos Saturn, ein blinder Greis in
schwarzem Gewand, mit langem weifsen Bart und kahlem
Schädel, eine goldene Sense über der rechten (seiner linken)
Schulter tragend, über den Sensengriff den Unterarm gelegt
und in der Hand desselben Armes eine goldene Sanduhr
haltend. An der andern Hand führt ihn der Knabe
Thanatos, zwölfjährig, schwarz geflügelt, um die Lenden
mit einem schwarzen, golddurchwirkten Tuch bekleidet, und
in der Linken (seiner Rechten) zwei gesenkte, aber brennende
Fackeln tragend; auch diese sind schwarz, die Flammen
bläulich. Das Paar geht langsam auf die Marmorkugel zu;
Saturn, die Hand des Thanatos loslassend, tippt dem ver-
sonnenen Lucifer auf die Achsel, sodafs er aufschrickt, und
weist gebieterisch gen Abend auf den Stern. Lucifer wendet sich,
streckt sehnsüchtig die Arme, beugt ein Knie. Nun nimmt
ihm Thanatos die ausgegangenen Fackeln rücklings aus der
Hand, ihm in die andre Hand die beiden brennenden steckend,
und schreitet langsam mit Saturn zum Tempel zurück; die
beiden Thorflügel schliefsen sich hinter ihnen.

Lucifer ist aufgestanden, die Fackeln wieder je in eine
Hand nehmend, und tänzelt zaudernd auf den Zehenspitzen
mit ausgebreiteten Armen der Hängebirke zu, hinter deren
Stamm sich gleichzeitig der Abendstern versteckt. Kurz vor
der Birke weicht Lucifer wie staunend zurück, tappt mit
unsicheren langen Schritten rückwärts nach der Marmor-
kugel hin, sinkt dort wieder ins Knie, und unter die
Birke — hinter dem Stamm hervor — tritt Venus, die
Hände über dem Stern gefaltet, der zitternd über ihrer
Stirne schwebt, als Spitze ihres Diadems. Sie ist bekleidet
mit dem langen Gewand der Serpentinetänzerinnen, durch-
sichtig weifs mit silbernen Pünktchen; um die Hüften ist es
aufgerafft mit einem ebensolchen Muschelgürtel, wie Lucifer
ihn trägt, lieber ihren Ohren stehen gleichfalls fischflossen-
förmige Strahlenbüschel ab; ihr Haar ist rot. Nun breitet
sie die Arme dem knieenden Lucifer entgegen; dieser erhebt
sich, wankt mit verzückten, langgestreckten Schritten auf
sie zu, bäumt vor ihr auf den Zehen auf, sie ebenso vor ihm,
und nun, nachdem er ihr die eine Fackel gereicht hat, legen sie
die freien Arme einander um die Schultern und wandeln mit
erhobenen Fackeln, allmählich in wiegenden Tanzschritt
übergehend, an der schwarzen Kugel vorn vorbei dem
Tempel zu.

Auf der Stufe des Tempels kehren sie sich wie spähend
gen Sonnenuntergang; und aneinandergelehnt, sodafs die
Sterne über ihren Häuptern sich berühren, winken sie zwei-
mal mit den Fackeln nach den Birken zu. Dann senken
sie die Arme, sodafs die Fackeln aufrecht neben ihren Hüften
flammen. Aus der rechten Ecke des Hintergrundes, hinter
der Grenzmauer entlang, kommt plötzlich Amor mit einem
Schwärm Amoretten. Amor hat schwarzes Haar, wie
Thanatos; doch nicht wie Dieser schlichtes, sondern wirr-
gewelltes. Die Amoretten, Kinder von drei bis fünf Jahren,
sind krausköpfig dunkelblond. Alle, auch der zwölfjährige
Amor, tragen weifse Flügelchen, silberne Sandalen und weifse,
silberdurchwirkte Lendentücher. Alle haben an der rechten
(ihrer linken) Seite einen kleinen blutroten Köcher mit ebenso
gefärbtem Gürtel und silbernen Pfeilen hängen, halten in der
Rechten einen silbernen Bogen mit roter Schnur und in der

Linken eine kleine schwarze Fackel mit rötlicher Flamme;
der Bogen Amors ist gröfser als die übrigen, seine Fackel fast
so grofs wie die von Lucifer und Venus. Es wird allmählich
dunkler; über dem Meer gehn die Sterne auf, sich goldig
in der schwarzblauen Wasserfläche spiegelnd.

Die Amoretten haben hinter Amor her die Oeffnung der
Grenzmauer unter der Doppelbirke durchschritten, wollen
nach der Marmorkugel; plötzlich bleibt Amor stehen, zeigt
ihnen das zerbrochene Theerosenbäumchen. Der ganze
Schwärm sieht sich den Schaden kichernd an, bis Amor
ihnen einen Wink giebt, worauf sie alle an die Grenzmauer
eilen und ihre Fackeln die Mauer entlang, rechtshin wie links-
hin, in den Boden stecken; nur Amor klemmt die seine, etwa
in halber Mannshöhe über dem Boden, zwischen die beiden
Stämme der Doppelbirke. Dann kehren sie zu dem Rosen-
stock zurück, Amor bricht den umgeknickten Oberteil des
Bäumchens vollends ab, schwingt ihn im Kreise über seinem
Kopf, wobei die Amoretten einen kurzen Ringelreigen um
ihn tanzen, und geht nun -würdig, von den Kleinen aus-
gelassen umhüpft, der schwarzen Kugel zu; gleichzeitig nähern
sich vom Tempel her, stets in dem gleichen, leisen, selig sich
wiegenden Tanzschritt, Venus und Lucifer der Kugel. Auf
diese stemmt Amor den Stumpf des Rosenstockes, in der
Rechten (seiner Linken) Pfeil und Bogen gen Himmel hebend,
während Lucifer und Venus ihre Fackeln wie zum Segen über
der Blütenkrone des Bäumchens wagerecht kreuzen und die
Amoretten neugierig zugucken. Dann wandelt Amor, Pfeil
und Bogen senkend, mit dem Rosenstämmchen zurück nach
dem Myrtenbusch, Venus und Lucifer mit immer noch ge-
kreuzten Fackeln dicht hinterdrein, und während Amor die
beiden Teile des Bäumchens aufeinandersetzt, sodafs es un-
versehrt wie früher dasteht, hängen die Amoretten ihre Bogen
ins Armgelenk und hüpfen, in die Händchen klatschend, im
Kreise um die Drei herum.

Nun nehmen Lucifer und Venus die Fackeln wieder an
die Hüften und wandeln nach der Kugel zurück, Amor und
die Amoretten tänzeln nach der Grenzmauer und nehmen
gleichfalls wieder die Fackeln zur Hand. Venus und Lucifer
stemmen die ihren, nachdem sie die Arme von den Schultern
genommen und sich zu beiden Seiten der Kugel aufgestellt
haben, neben einander auf deren Scheitelpunkt; Amor und
die Amoretten kommen in geschweiftem Gänsemarsch nach
vorn, legen von rechts her ihre Bogen dicht vor dem Kugel-
postament zu Füfsen des Paares nieder, reichen einander die
Händchen, sodafs sie ihre kleinen Fackeln aufrecht zwischen
sich halten, und bilden nach links hin einen Ringelreigen um
das Paar, die Fackeln bald hebend bald senkend. Plötzlich
springt Amor, wieder auf der Vorderseite angekommen, aus
dem Reigen heraus auf die Kugel, lehnt den Rücken an den
Stamm des Apfelbaums, stemmt sich mit beiden Händen seine
Fackel auf den Kopf, Venus und Lucifer haben die ihren mit
den nach aufsen gekehrten Armen gleichfalls rasch aufs Haupt
genommen, umschlingen mit den inneren Armen Amors Kniee,
und aus dem Pinienwald stürmt taumelnd und mit Tamburin-
Gerassel — jetzt ohne Thyrsusstäbe — der Schwärm der
Bachanten auf den Amorettenreigen los. Die Kleinen
stieben auseinander, von den berauschten Bachanten verfolgt,
die ihnen teilweis die Fackeln entreifsen. Die Amoretten
flüchten nach der Kugel zurück, mit hilfeflehenden Mienen
sich dicht um Lucifer, Venus und Amor drängend. Die aber

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