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JOACHIM SKOVGAARD, DER TEICH VON DETHESDA

DIE JUENGERE SCHWEDISCHE LITTERATUR

SKIZZE

SCHWEDEN, das Land der schreienden klimatischen
Kontraste, wo von nimmermüder Sonne durchleuchtete
Sommer auf eisesstarre, unerbittlich strenge Winter folgen;
das Land der träumerischen Seen und düsteren Wälder, nennt
ein enthusiastisches, lernbegieriges Volk sein eigen, das mit
beneidenswerter Körper- und Geistesfrische mutig auf den
Bahnen modernster Ideenstrümungen vorwärts schreitet. Und
wenn es auch nicht bahnbrechende Führer hervorgebracht
hat, so besitzt seine heutige Litteratur doch eine stattliche
Reihe von Autoren, von denen etwas zu sagen — und zu
lernen ist.

Die neuen Ideen wurden seit den letzten zwanzig oder
dreifsig Jahren gierig von überall her aufgesogen: Darwin,
Spencer, Stuart Mill, Taine, Schopenhauer und Nietzsche
streuten Samenkörner aus, die auf fruchtbaren Boden fielen.1
Die eigentlichen Bahnbrecher aber kamen von dem ver-
schlossenen, grübelnden und starrköpfigen Nachbarstaate
Norwegen, der mitten unter seinen in Holz-, Fisch- und

1 Der berühmte dänische Literarhistoriker Georg Brandes,
vermittelte durch seine Vorlesungen das Bekanntwerden dieser
Geistesheroen. Sein bevorzugter Philosoph war Friedrich Nietzsche,
der für viele, besonders für Strindberg und Ola Hansson, eine
Art Befreier ward.

Thranhandel befangenen Spiefsbürgern Männer erzeugte, die
mit zäher Riesenkraft an den bisher heilig gehaltenen Grund-
pfeilern der menschlichen Gesellschaft: Staat, Kirche, Ehe, so
ungestüm rüttelten, dafs die ganze Welt davon erschüttert
ward und mancher friedliebende Alltagsmensch aus seinem
Gleichgiltigkeitsschlafe emporfuhr. Henrik Ibsen, Björn-
stjerne Björnson und Jonas Lie predigten, dass man das
Leben von vollkommen neuen Gesichtspunkten aus betrachten
müsse, und jedes neue Werk dieser drei aus dem seichten
Krämervolke emporragenden erratischen Blöcke erregte einen
Sturm der Begeisterung in Schweden. Die Folge davon war,
dafs die gesamte jüngere schwedische Litteratur einen durch-
aus revolutionären Charakter trägt. Sie bricht mit allen
Ueberlieferungen und hat sich schon meilenweit von ihrem
gefeierten, bisher gröfsten Poeten Victor Rydberg ent-
fernt, dessen erst Ende 1805 erfolgter Tod als Nationaltrauer
angesehen wurde. Dennoch behandelt auch Rydberg die
tiefen moralischen und religiösen Probleme, die unsere Zeit
bewegen. In Poesie und Prosa stellt er gern das Ringen zweier
Welten gegenüber: die hellenische Welt, besiegt und umge-
staltet durch das Christentum; den Kampf des Christentums
mit dem skandinavischen Heidentum, oder die neuen blutigen
Religionskämpfe, die die Reformation im hohen Norden

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