LUDWIG VON HOFMANN, KOPFLEISTE
AM MEER
VON
STANISLAW PRZYBYSZEWSKI
UND wieder einmal kam die blaue Stunde, die
Stunde der grofsen Sehnsucht, da das Meer
das hohe Lied von Dir und mir, das düstere Leid
unseres Gramgeschickes singt.
Alles verschwimmt in meiner Seele, der Traum
meiner Nächte fliefst in den wachen Tag über,
in tiefem Dunkel blühen auf nackten Bäumen
schwere, goldene Blütendolden, rings auf den Felsen
schlafen schwarze Schicksalsvögel und Milliarden
von Sternen säen fahles Licht in die Meeresgründe
hinab.
Nie hab ich Dich so traurig gesehen.
So traurig sah ich einmal die schwarzen Felder
am Allerseelentag. Der Wind fegte das faulende
Laub vor sich hin, pfiff in dem dürren Gras der
bereiften Wiesen, dunkel brütete die Nacht über
den Gräbern, dunkel geisterten die nackten Pappeln
am Wege und durch die irre Finsternis mühte sich
der winzige Schein eines fernen Hüttenfensters.
So traurig sah ich einmal die Sonne an einem
Herbstabend untergehn. Den ganzen Tag troff der
Regen. Unablässig rieselte er und schluchzte, löste
die Seele in unruhiger Schwermut, und darüber
lastete bleiern der Himmel in hoffnungslosem Brüten.
Es dämmerte, aber man sah nicht die Sonne, nur
ein schwaches, schmutziges Leuchten kroch am
Himmelsrand hervor und verschwand.
So traurig hört ich einmal ein Lied, zerfetzt
vom eisigen Winde, am Grab eines Kindes. Trockene
Schneemassen wirbelten in der Luft, der schnei-
dende Frostwind köpfte die dürren Kronen der
jungen Bäume und auf den kleinen Sarg fielen die
gefrorenen Klumpen der harten Erde, fielen und
stöhnten das letzte Wiegenlied.
Und so traurig sah ich einmal eine flügellahme
Möve gegen die Zeit der Meeresflut auf dem Riff
einer Felseninsel sitzen. Schon wälzten sich die
Wogen über das felsige Gestein, schon zerspritzte
ihr Schaum an dem winzigen Riff; langsam tauchte
die Insel in dem schäumenden Gewoge unter und
mit todesbanger Traurigkeit sah die Möve den
Untergang nahn. Noch einmal flog sie auf, noch
einmal fiel sie kraftlos zurück, schob den Kopf
zwischen die Flügel und erwartete den Tod.
In der blauen Stunde, in der letzten Glut des
blutigen Wiederscheins der versunkenen Sonne
hab ich Dich gesehen einen Augenblick lang, denn
schon flogst Du wie ein Erdschatten über den
Himmel und tauchtest in das dunkle Schweigen
der Nacht hinein.
Du verflogst wie ein flüchtiger Erdschatten. Nur
einen schweren Blick hast Du mir noch zugeworfen,
einen Blick voll weinender Sehnsucht, innig und
so hilflos wie die stammelnde Bitte eines Kindes.
— Und ich trug Deinen schweren flehenden Blick
C i39 D
;8*
AM MEER
VON
STANISLAW PRZYBYSZEWSKI
UND wieder einmal kam die blaue Stunde, die
Stunde der grofsen Sehnsucht, da das Meer
das hohe Lied von Dir und mir, das düstere Leid
unseres Gramgeschickes singt.
Alles verschwimmt in meiner Seele, der Traum
meiner Nächte fliefst in den wachen Tag über,
in tiefem Dunkel blühen auf nackten Bäumen
schwere, goldene Blütendolden, rings auf den Felsen
schlafen schwarze Schicksalsvögel und Milliarden
von Sternen säen fahles Licht in die Meeresgründe
hinab.
Nie hab ich Dich so traurig gesehen.
So traurig sah ich einmal die schwarzen Felder
am Allerseelentag. Der Wind fegte das faulende
Laub vor sich hin, pfiff in dem dürren Gras der
bereiften Wiesen, dunkel brütete die Nacht über
den Gräbern, dunkel geisterten die nackten Pappeln
am Wege und durch die irre Finsternis mühte sich
der winzige Schein eines fernen Hüttenfensters.
So traurig sah ich einmal die Sonne an einem
Herbstabend untergehn. Den ganzen Tag troff der
Regen. Unablässig rieselte er und schluchzte, löste
die Seele in unruhiger Schwermut, und darüber
lastete bleiern der Himmel in hoffnungslosem Brüten.
Es dämmerte, aber man sah nicht die Sonne, nur
ein schwaches, schmutziges Leuchten kroch am
Himmelsrand hervor und verschwand.
So traurig hört ich einmal ein Lied, zerfetzt
vom eisigen Winde, am Grab eines Kindes. Trockene
Schneemassen wirbelten in der Luft, der schnei-
dende Frostwind köpfte die dürren Kronen der
jungen Bäume und auf den kleinen Sarg fielen die
gefrorenen Klumpen der harten Erde, fielen und
stöhnten das letzte Wiegenlied.
Und so traurig sah ich einmal eine flügellahme
Möve gegen die Zeit der Meeresflut auf dem Riff
einer Felseninsel sitzen. Schon wälzten sich die
Wogen über das felsige Gestein, schon zerspritzte
ihr Schaum an dem winzigen Riff; langsam tauchte
die Insel in dem schäumenden Gewoge unter und
mit todesbanger Traurigkeit sah die Möve den
Untergang nahn. Noch einmal flog sie auf, noch
einmal fiel sie kraftlos zurück, schob den Kopf
zwischen die Flügel und erwartete den Tod.
In der blauen Stunde, in der letzten Glut des
blutigen Wiederscheins der versunkenen Sonne
hab ich Dich gesehen einen Augenblick lang, denn
schon flogst Du wie ein Erdschatten über den
Himmel und tauchtest in das dunkle Schweigen
der Nacht hinein.
Du verflogst wie ein flüchtiger Erdschatten. Nur
einen schweren Blick hast Du mir noch zugeworfen,
einen Blick voll weinender Sehnsucht, innig und
so hilflos wie die stammelnde Bitte eines Kindes.
— Und ich trug Deinen schweren flehenden Blick
C i39 D
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