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HANS BALUSCHEK, LUMPENSAMMLERINNEN

THEODOR FONTANE

LS ich ihn das letzte Mal sah, etwa
zwei Monate vor seinem Tode, war
das mitten im tosenden Lärm der
Weltstadt, und doch ein wenig abseits:
in der Königgrätzerstrafse, ganz nahe
beim" Potsdamer Platz. Da stand er
vor dem Pallast-Hotel, den blaugrünen
schottischen Shawl locker um die Schultern, stand allein und
blickte halb über das Gewühl hinweg, mehr in der Stellung
eines Lauschenden als eines Schauenden. Fast erschrack ich
ein wenig, als ich ihn sah: so alt schien er mir plötzlich ge-
worden, so nahe dem Verfall. Aber dennoch lag etwas un-
gemein Ehrwürdiges in der ganzen Erscheinung. Er schien
völlig in Sinnen verloren, beinahe der Welt schon entrückt.
Etwas wie ein kindliches seliges Staunen, wie dankesfrohes
Mitgeniefsen lag auf seinen Gesichtszügen, in denen die Augen
einen eigenen, gleichsam verklärten Glanz hatten. Was mochte
in ihm vorgehen in dieser Minute? Sah er noch einmal Alles
in sich, das er so gut kannte und so treu liebte? Wogte in
ihm ein Erinnerungsbild an jene Zeiten, die er gleichfalls
kannte und miterlebt hatte, wo dieses Alles so ganz anders
war, so vorortlich-primitiv, mit simplen Volksgärten und
bedächtig vorüberrumpelnden Kremsern, mit sich dehnenden
Blachfeldern und fern aufragenden Fabrikschloten? Gedachte
er längst verlebter Stunden mit Freunden, witzreichen und
schwärmenden, die nun bereits die Erde deckte? Schwanke
Träume schienen ihn leise zu bewegen . . . Still wollte ich

vorübergehen. Da traf mich sein Blick. Anfangs wie der
eines Unbekannten, dann sich freundlich erhellend zu leut-
seligem Grufs. Und doch auch dies wie traumverloren. Ich
fühlte mich seltsam bewegt. Rasch schritt ich vorüber, ob-
gleich ich am liebsten auf ihn zugeeilt wäre und ihm die
Hände geküfst hätte. Aber ich konnte nicht. Wie ein Frevel
wäre mir es erschienen, dieses webende innere Leben zu stören.
Gewifs war ich nur wie eine Erscheinung an ihm vorbei-
geglitten. Gleich darauf bewegten ihn wieder Bilder und
Träume, Gegenwärtiges, Vergangenes . . . Zukünftiges . . .
Wunderlich genug ragte der alte Theodor Fontane in
unsere junge Zeit hinüber. Sie mufste ihm in Vielem völlig
fremd sein, weil sie an manchen Empfindungen, die ihm
zeitlebens teuer blieben, kalt und keuchend vorüberraste.
Und dennoch dieses mitthätige interessevolle Eingehen auf
unsere Zeit, diese immerwache Poetenneugier, dieser wunder-
volle Poetenglaube. „Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube,
eine bessere und eine glücklichere", schrieb der Siebenund-
siebzigjährige in seinem letzten Buch, dem nach seinem Tode
veröffentlichten Roman „Der Stechlin." Und ebendaselbst,
wo so vieles steht, das gleichsam den Ton eines Vermächt-
nisses hat: „Ich respektiere das Gegebene. Daneben aber
freilich auch das Werdende. Denn eben dieses Werdende
wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles
Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen 'wir lieben, aber
für das Neue sollen wir recht eigentlich leben." Und so
hat er es gehalten. Bis zum letzten Atemzug hat er nicht

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