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LUDWIG VON HOFMANN, REITER

KUNST UND RELIGION

DIE KUNST UND DIE RELIGIOESE MENGE
VON HARRY GRAF KESSLER

DIE Geschichte zeigt als den unerschöpflichsten Quell
von Kunst die Religion. Haben immer wieder Not oder
Zufälle die Kunst in den Dienst des Glaubens gestellt? Oder
deutet diese Stetigkeit gesetzmäfsige Beziehungen an, und
neigt von Natur die Seele dazu, Bahnen zwischen Religion
und Kunst zu bilden? Mufs notwendig religiöse Erregung
zu Kunstschaffen und Kunstgenufs führen, und kann um-
gekehrt Kunstgenufs zu religiöser Erregung werden? Die
Aesthetik wird nicht umhin können, diesen Wechselbe-
ziehungen nachzuforschen, sobald sie sich erst dem Ratgeben
entwachsen fühlt und nur darauf ausgeht, das ästhetische Phä-
nomen verstehen zu lernen, wie es auftritt und wie es verläuft.
Die Seele im Umwandeln von Religion in Kunst und
von Kunst in Religion begriffen, — Verbindungen von Ge-
fühlen und Bildern, die zu den ewigen und typischen Seelen-
vorgängen gehören, deren Wesen aber eben der Wandel ist,
— ein verfliefsender und jedesmal wie vom Zufall gewebter
Schleier von Inbrunst und Sinnlichkeit, und auf diesem eine
von den unwandelbarsten Erscheinungen der menschlichen
Geistesgeschichte, der schillernde Regenbogen des religiösen

Kunstwerks: — wenn der Lohn kein anderer ist, so wird
zum mindesten doch das Schauspiel sehenswert sein.

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Die religiöse Erregung ist ihrem Wesen nach immer die
Sehnsucht, das Ueberweltliche klarer wahrzunehmen, um
es inbrünstiger fühlen zu können. Beide Elemente, in die
schon der naive Sinn die Seelenvorgänge zerfallen sieht, haben
also an ihr den gleichen Anteil: die Vorstellungen, die aus
den Sinnesempfindungen und deren Erinnerungsbildern er-
wachsen, und die Reaktionen des Seelenverlaufs auf die Vor-
stellungen, die von der neueren Psychologie seit Wundt
unter dem Namen Gefühl zusammengefafst werden. Die
Verbindung zwischen einem Bilde des Göttlichen und einem
starken Gefühl ihm gegenüber ist der Eine Kern, der von
der Mannigfaltigkeit der religiösen Gestaltungen umhüllt
wird. Und auch diese Gestaltungen durchlaufen immer wieder
analoge Bahnen; denn den zahllosen Bildern und Gefühls-
schattierungen, aus denen sie zusammenwachsen, dienen doch

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