Eine jede von diesen Verbindungen kann sich also zu einer
künstlerischen Konzeption vervollständigen und, wenn die
Ausführung hinzukommt, zu einem Kunstwerk auswachsen.
Durch ihre Vervielfältigung befruchtet die religiöse Erregung
die Kunst daher so zu sagen von innen, durch fortwährend
gebildete neue Keime, wie die Ziele des Priesters und des
Ritus ihr einen äufseren Antrieb zur Ausbildung ihrer
Wirkungsmittel geben. — Auch hier stehen die rein
ästhetischen Bestrebungen in ihrem "Wert für die Kunst hinter
der religiösen Erregung zurück 5 sie bereiten mühsam in
wenigen und ausgewählten Seelen den Keim des Kunst-
schaffens; die Religion aber streut die schöpferische An-
schauung, mit der Fruchtbarkeit der Natur in die tausend-
köpfigen Massen aus. Die wie ein Wunder erscheinende
Schaffenskraft religiöser Zeitalter erwächst nicht, wie etwas
einfältig gemeint worden ist, aus dem Reichtum an Gegen-
ständen, die der Künstler dann zu verarbeiten hat, sondern
aus dem Reichtum an Anschauungen, der in solchen Zeiten
wie allen Andren auch dem Künstler zu teil wird. Es scheint
dann einem Jeden gegeben, Neues und Tiefes zu sagen,
wenn er nur Ausdrucksmittel hat. Und das ist in der That
der Fall, weil das Symbol das Geistesleben Aller durchdringt;
weil für einen Jeden die Momente häufig sind, in denen,
was er erlebt, sich ihm aus dem was er ist erklärt; und
weil gerade diese Momente es sind, aus denen der religiöse
Künstler seine Konzeptionen schafft; denn sie sind es, in
denen er die religiösen Figuren schaut. Naiv drückt er des-
halb der Welt die Neuheit seines Wesens auf. Der magische
Glanz, der Denen eigen ist, die zugleich ihre Innen- und
ihre Aussenwelt tief erleben, der aus dem Leid oder Glück
der Sieger und Dulder strahlt, scheint in die Züge und in die
Gedankenwelt ganzer Völker emporzusteigen.1
1 Eine Fortsetzung dieses Versuchs über Kunst und Religion folgt.
LUDWIG VON HOFMANN, BADENDES .MÄDCHEN
C 176 n
künstlerischen Konzeption vervollständigen und, wenn die
Ausführung hinzukommt, zu einem Kunstwerk auswachsen.
Durch ihre Vervielfältigung befruchtet die religiöse Erregung
die Kunst daher so zu sagen von innen, durch fortwährend
gebildete neue Keime, wie die Ziele des Priesters und des
Ritus ihr einen äufseren Antrieb zur Ausbildung ihrer
Wirkungsmittel geben. — Auch hier stehen die rein
ästhetischen Bestrebungen in ihrem "Wert für die Kunst hinter
der religiösen Erregung zurück 5 sie bereiten mühsam in
wenigen und ausgewählten Seelen den Keim des Kunst-
schaffens; die Religion aber streut die schöpferische An-
schauung, mit der Fruchtbarkeit der Natur in die tausend-
köpfigen Massen aus. Die wie ein Wunder erscheinende
Schaffenskraft religiöser Zeitalter erwächst nicht, wie etwas
einfältig gemeint worden ist, aus dem Reichtum an Gegen-
ständen, die der Künstler dann zu verarbeiten hat, sondern
aus dem Reichtum an Anschauungen, der in solchen Zeiten
wie allen Andren auch dem Künstler zu teil wird. Es scheint
dann einem Jeden gegeben, Neues und Tiefes zu sagen,
wenn er nur Ausdrucksmittel hat. Und das ist in der That
der Fall, weil das Symbol das Geistesleben Aller durchdringt;
weil für einen Jeden die Momente häufig sind, in denen,
was er erlebt, sich ihm aus dem was er ist erklärt; und
weil gerade diese Momente es sind, aus denen der religiöse
Künstler seine Konzeptionen schafft; denn sie sind es, in
denen er die religiösen Figuren schaut. Naiv drückt er des-
halb der Welt die Neuheit seines Wesens auf. Der magische
Glanz, der Denen eigen ist, die zugleich ihre Innen- und
ihre Aussenwelt tief erleben, der aus dem Leid oder Glück
der Sieger und Dulder strahlt, scheint in die Züge und in die
Gedankenwelt ganzer Völker emporzusteigen.1
1 Eine Fortsetzung dieses Versuchs über Kunst und Religion folgt.
LUDWIG VON HOFMANN, BADENDES .MÄDCHEN
C 176 n