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E. M. GEYGER, PORTRÄTZEICHNUNG

DER ALTE SCHRANK

VON

JOHANNES SCHLAF

Ich bin so frei, Ihnen von dem alten Eichenschranke zu erzählen.

Er steht jetzt im dritten Stockwerk, ganz allein in einem grofsen, leeren,
weifsgetünchten Saal; ganz allein.

Ein wahrer Riese von Schrank; braun, mit schlangenartig gewundenen
Säulen und eingelegtem helleren Bildwerk. Eine altmodische Intarsia in der
liebenswürdigen Unbeholfenheit und Naivetät der Urgrofsväterzeit. Zwischen
Arabesken mit schnurrigen Blättern und Phantasieblumen und wer weifs was
für Fabelvögeln haschen sich Elfen und Amoretten. Ihre biedere Anmut ist
so rührend. Und diese zarten Schmetterlingsflügel an den wurstlichen Gliedern!...

Braun und ehrwürdig, mit feierlicher Melancholie steht das riesige alte
Möbel an der weifsen Wand in dem grofsen stillen Saal.

Man kann sich vorstellen, wie still es hier ist! ...

Nur die alten Hauslinden raunen in diese Ruhe hinein.

Und dies wunderliche Picken und Ticken in seinem morschen Gewände!

Oder ein plötzliches Krachen.

Manchmal nimmt es sich aus wie ein Seufzer, manchmal wie ein Gähnen.
Manchmal, wenn die Mäuse in seinem Inneren ihren Hexensabbath aufführen,
ist es, als wenn er irgend welche Selbstgespräche halte, wirre muschlige Worte,
brummelnd und polternd, mit einer hastigen, mürrischen Greisenstimme.

C 229 ö
 
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