LUDWIG VON HOFMANN, LÖWE
FRAGMENTE
AUS EINEM TAGEBUCHROMAN
Dich, dein Leben zu Kunst klären, mit Allem, was Tag
und Alltag ein Recht hat, von dir zu fordern, . . bis aufs
Kleinste hinein .. .
deine Kunst leben, nicht blofs dichten . . da liegt's!
sie an dir erproben, dich an ihr: wie weit möglich, was
du willst und von Anderen forderst . . .
das allein entscheidet!
das allein reift eine Ernte!
Kunst mufs gelebt werden können, sonst ists . . . Hand-
werk!
Eine Kunst, die blofs bunte Träume weifs, die Alles, was
ich bin, in Sehnsucht und Selbstbetrug einlullt . . .
eine Kunst, die keine Rückwirkung auf mein Leben will,
die nicht zu erzwingen vermag, dafs ich mich ihr entgegen
umgestalte .. .
eine Kunst, die mir nicht die Augen hell macht und das
Herz frei .. .
Andere mögen anders denken . . .
mir wäre es doch etwas zu wenig!
*
Es liegt nicht am Nichtkönnen ... wir können vielleicht
viel zu viel . ..
es liegt auch nicht am Weniggelernthaben .. .
es liegt am Nichtweiterlernenwollen .. .
unsere Dichter sollten weniger dichten und lieber ihre
Seele reifen ... sie sollten sich nicht blofs zu Genies, sondern
zu auch sonst brauchbaren Menschen machen.....
Glockenrock und Cylinder allein thuts nicht, sondern man
mufs sich auch darin zu benehmen wissen.
Und wenn sie immer und immer wieder von Kunst
an sich reden, als ob es das Endziel aller Dinge wäre . . .
immer wieder stehe ich wie ein Fremder dabei: o mein Gott!
was gehen mich all die Fragen an, um die ihr solches Wesen
macht! Wenn euer Glaube nicht höher kann, habe ich nie
etwas mit Kunst zu thun gehabt, und möchte nie etwas damit
zu thun haben wollen .. .
Seele, Seele! nicht Kunst! .. . Nicht Kunst! Seele!
Dafs man das Alles aber immer noch sagen mufs! Es
sind so urselbstverständliche Dinge!
und dennoch sehe ich immer wieder: dafs die Menschen
sie sehr wohl auswendig wissen, wie Kinder ihre Katechis-
mussprüche . . . wirkliches Leben aber ist ihnen nichts davon
geworden!
Noch immer nicht!
Ein Gedicht machen, ein Bildchen malen, ein Figürchen
modellieren . . .
ich denke immer, das müsse man allmählich können, wie
Lesen, Schreiben und Rechnen .. .
und wer will, kann's auch! . . .
Das Wertmafs aber mufs dann ganz wo anders liegen!
*
Vor zehn Jahren begannen alle Artikel: Wir wissen nach-
gerade, dafs alle echte Kunst realistisch ist! und man bewies
es an Goethe ...
Heute beginnen sie: wir wissen nachgerade, dafs alle echte
Kunst symbolisch ist! und man beweist es an Goethe .. .
Das Bleibende, die Wurzel daraus also ist Goethe ...
Nörgelt man weiter, was demnach unter „Goethe" zu
verstehen sei ? so verlautet etwas wie „Persönlichkeitskunst"...
Wir wüfsten dann also: dafs alle echte Kunst Persönlich-
keitskunst wäre!
Geht man noch weiter, was hierunter zu verstehen sei,
so könnte die Antwort wohl nur derart sein, dafs alle Artikel
von nun ab beginnen müfsten: Wir wissen nachgerade, dafs es
sich bei echter Kunst immer um Dinge handelt, die ... die ...
die bisher eigentlich als Nebensache betrachtet wurden!
C 231 3
FRAGMENTE
AUS EINEM TAGEBUCHROMAN
Dich, dein Leben zu Kunst klären, mit Allem, was Tag
und Alltag ein Recht hat, von dir zu fordern, . . bis aufs
Kleinste hinein .. .
deine Kunst leben, nicht blofs dichten . . da liegt's!
sie an dir erproben, dich an ihr: wie weit möglich, was
du willst und von Anderen forderst . . .
das allein entscheidet!
das allein reift eine Ernte!
Kunst mufs gelebt werden können, sonst ists . . . Hand-
werk!
Eine Kunst, die blofs bunte Träume weifs, die Alles, was
ich bin, in Sehnsucht und Selbstbetrug einlullt . . .
eine Kunst, die keine Rückwirkung auf mein Leben will,
die nicht zu erzwingen vermag, dafs ich mich ihr entgegen
umgestalte .. .
eine Kunst, die mir nicht die Augen hell macht und das
Herz frei .. .
Andere mögen anders denken . . .
mir wäre es doch etwas zu wenig!
*
Es liegt nicht am Nichtkönnen ... wir können vielleicht
viel zu viel . ..
es liegt auch nicht am Weniggelernthaben .. .
es liegt am Nichtweiterlernenwollen .. .
unsere Dichter sollten weniger dichten und lieber ihre
Seele reifen ... sie sollten sich nicht blofs zu Genies, sondern
zu auch sonst brauchbaren Menschen machen.....
Glockenrock und Cylinder allein thuts nicht, sondern man
mufs sich auch darin zu benehmen wissen.
Und wenn sie immer und immer wieder von Kunst
an sich reden, als ob es das Endziel aller Dinge wäre . . .
immer wieder stehe ich wie ein Fremder dabei: o mein Gott!
was gehen mich all die Fragen an, um die ihr solches Wesen
macht! Wenn euer Glaube nicht höher kann, habe ich nie
etwas mit Kunst zu thun gehabt, und möchte nie etwas damit
zu thun haben wollen .. .
Seele, Seele! nicht Kunst! .. . Nicht Kunst! Seele!
Dafs man das Alles aber immer noch sagen mufs! Es
sind so urselbstverständliche Dinge!
und dennoch sehe ich immer wieder: dafs die Menschen
sie sehr wohl auswendig wissen, wie Kinder ihre Katechis-
mussprüche . . . wirkliches Leben aber ist ihnen nichts davon
geworden!
Noch immer nicht!
Ein Gedicht machen, ein Bildchen malen, ein Figürchen
modellieren . . .
ich denke immer, das müsse man allmählich können, wie
Lesen, Schreiben und Rechnen .. .
und wer will, kann's auch! . . .
Das Wertmafs aber mufs dann ganz wo anders liegen!
*
Vor zehn Jahren begannen alle Artikel: Wir wissen nach-
gerade, dafs alle echte Kunst realistisch ist! und man bewies
es an Goethe ...
Heute beginnen sie: wir wissen nachgerade, dafs alle echte
Kunst symbolisch ist! und man beweist es an Goethe .. .
Das Bleibende, die Wurzel daraus also ist Goethe ...
Nörgelt man weiter, was demnach unter „Goethe" zu
verstehen sei ? so verlautet etwas wie „Persönlichkeitskunst"...
Wir wüfsten dann also: dafs alle echte Kunst Persönlich-
keitskunst wäre!
Geht man noch weiter, was hierunter zu verstehen sei,
so könnte die Antwort wohl nur derart sein, dafs alle Artikel
von nun ab beginnen müfsten: Wir wissen nachgerade, dafs es
sich bei echter Kunst immer um Dinge handelt, die ... die ...
die bisher eigentlich als Nebensache betrachtet wurden!
C 231 3