Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
kehren oft wieder, wie reichgerahmte Spiegel. Er liebt es,
das Geschlecht seiner menschlichen Figuren manchmal über-
mäfsig zu betonen, oft wieder zu hermaphrodisieren. Ein
Selbstporträt in den ,Posters in Miniature' gleicht etwa dem
Bilde jener Mädchen mit kurzem Haar, vollen Lippen und
steifer Hemdbrust, welche die Pariser Karikaturisten gerne
verlachen, nur dafs Beardsley fern von aller Karikatur ist.
Denn er übertreibt nie körperliche Eigentümlichkeiten zu
einem lächerlichen, sondern psychische zu einem grottesken
Effekt, es ist wenn auch Geist so doch nicht Witz und Ko-
mik in seiner Uebertreibung. Seine Typen sind in ihrer Häfs-
lichkeit und in ihrer Schönheit Erfindungen, sie haben nie
ein Modell in der "Wirklichkeit gehabt. Man mufs sie mit
den bekannten Grotesken Lionardos vergleichen. Es ist bei
Beardsley auch alles zu überlegt, zu sehr Absicht, zu sehr zum
Ganzen notwendig — Eigenschaften, welche der Karikatur,
die zufällig, rauh, unwillkürlich ist oder scheinen soll, fehlen.
Beardsley ist satirisch, aber nicht gutmütig: er ladet nicht
ein, mit ihm zu lachen, denn seine Satire ist nicht sozialer
Art. Und dies ist es auch, was Beardsley von einem Künstler
trennt, der sich mit ihm — sonst ganz unähnlich — im
Punkte der Satire fast berühren möchte, ich meine Rops. Es
besteht zwischen beiden eine Art Verwandtschaft, nicht in
den rein künstlerischen Mitteln, da sind sie polare Gegensätze,
aber in der Anlage. Beide glossieren sie in den Inhalten ihrer
Kunst die Probleme der menschlichen Schönheit und der
Erotik — aber beide wie verschieden! Rops ist mit all seiner
Kenntnis der Raffinements der Derbere, Lautere. Seine Kraft
liebt das Fleischliche der Sünde, die Brutalität, die Ausgelassen-
heit, das Orgiastische darzustellen. Seine Erotik geht den
Weg zwischen zügelloser Anbetung und
brutaler Verachtung. Er liebt vorher,
um nachher zu hassen. Er ist der Sinn-
liche, der seinen Intellekt zur Rache an
der Sinnlichkeit braucht in Satiren ohne
Schonung. Rops giebt die Natur un-
verändert, denn die Psychologie seiner
Vorgänge ist eine solche, die sich schon
in den äufseren Formen verrät. Seine
symbolischen Bilder sind im Detail
naturalistisch, als Ganzes vom Verstand,
vom Witz geordnet zu einem Epigramm.
Beardsley sieht Vorgänge und Men-
schen von innen heraus ; das nimmt
alles das Gewand der intuitiv erkannten
Seelen an, die den Körper deformieren
zum idealen Ausdruck ihres Zustandes.
Da wird die Sünde schön und eine
Tugend, weil sie grofs und herrschend
ist, da wird die kleine Tugend, die
halbe Sünde zur widerlichsten Häfs-
lichkeit. Beardsley hat subtilere Em-
pfindungen, er neigt zur Melancholie,
er ist subjektiv. Von Rops ist ein
Aquarell: ,Messalina% von Beardsley
zweiBlätter:,Spaziergangder Messalina'
und ,Messalina kommt aus dem Badec.
Bei Rops ist es ein Weib zwischen zwei
Altern. Der Körper ist gut in den
Muskeln, aber auch nichts mehr; der

A. BEARDSLEY, THE MYSTERIOUS ROSE GARDEN

etwas geöffnete grofse Mund läfst die Zähne sehen, die
Augen sind wie verwischt von Ermattung oder Verlangen.
Beardsleys Messalina ist eine Frau von 50 Jahren, deren
Formen in Fett verloren, die Augen klein und stechend, die
wulstigen Lippen fest geschlossen sind. Rops Messalina denkt
wahrscheinlich auch, Beardsleys Megäre zeigt keine Spur davon.
Auch Beardsleys Kunst ist wie die des Rops der Perver-
sität angeklagt worden. Von Kritikern, welche ohne Verhält-
nis zur Kunst diese nur dazu nützen, den Schöpfer daraus
auf seine Moralität zu prüfen. Auch sie berufen sich darauf,
dafs das Kunstwerk als eine Offenbarung eines Menschen zu
betrachten ist und nehmen sich daraus das Recht für ihr
Wächtertum ob guter Sitte. Aber solche Kritiker sind nur
die lauteren Stimmen einer Zeit, welche ohne Scham und
mit demagogischer Wut die Grofsen als klein, schlecht und
gewöhnlich dem danach lüsternen Publikum zeigen möchte.
Hier war die Zeit der Apologien besser. — Beardsleys Freunde
haben über sein Menschentum nicht geschwiegen, ich glaube
auch nichts verschwiegen, wohl weil sie keinen Anlafs dazu
hatten. Beardsley wird uns beschrieben als stolz und von
sich überzeugt, was ihn nicht hinderte, andere zu achten oder
zu loben, wohl aber von den andern, die ihm dessen nicht
wert schienen, zu schweigen. Er war trotz seiner Soziabilität
menschenscheu, es fehlte ihm das Bedürfnis nach Mitteilung,
was man oft bei Menschen findet, deren Intellekt starke
Neigung zur Abstraktion zeigt. Doch verschlofs er sich nie
dem Leben, an das er mit vielen Interessen geknüpft war. Er
kleidete sich wie ein Elegant und hafste die sichtbaren äufseren
Zeichen desKünstlertums; für Worte wie Inspiration hatte er
Verachtung. Als einer ihn frug, ob er Visionen habe, gab er die
Antwort: Ich gestatte mir so etwas nur
auf dem Papier. Keiner hat ihn je bei
der Arbeit gesehen, die er am liebsten
abends bei Kerzenlicht that. Kam ein
Besuch, so legte er alles beiseit —
nie hörte man ihn mit der Miene eines
Geschäftigen sagen, dafs er keine Zeit
habe. Von seinen beiden Gedichten
und von seiner Novelle — sie er-
schienen im ,Savoyc — hielt er viel,
wie er überhaupt geneigt war, sich
mehr als einen Schriftsteller anzusehen
denn als einen Zeichner. Er hatte hier
viele Pläne, wie ein Buch über Rousseau,
einen Essay über die ,Liaisons dange-
reusesc, der Fragment blieb wie auch
,Under the hill', die Novelle; in dieser
Tannhäuser-Groteske ist er derselbe
wie in seiner gezeichneten Kunst. —
Man hat Beardsley den Sinn für die
lebende Natur abgesprochen. Ihm
eigentümlich verwendet er sie nur im
Ornament aus Pflanzenmotiven. Zu
Landschaftlichem benützte er einfach
Claude und blieb ihm treu. Es ist keine
Spur einer grotesken Behandlung der
Natur zu finden — vielleicht weil
er sie liebte, mehr als die Menschen.
Mit wie vielen Worten könnte
man noch so vieles von der Art dieses

c 259 »
 
Annotationen