Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Teubner, 1923

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0023
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DAS ALTERTUM

DER SATURN

Das Temperament Melancholie — und daß wir Dürers Stich zu-
nächst als Temperamentsbild zu betrachten haben, geht schon aus der
Bezeichnung „I“ hervor, die eben auf die drei andern hindeutet1) — ist
eine jener vier „Komplexionen“, wie sie durch das Vorwalten des
einen oder andern der vier „Grundsäfte“ oder „Humores“ bestimmt
werden. Im Phlegmatiker etwa ist dem „normalen“ Mischungsverhält-
nis gegenüber der Schleim vorherrschend, im Choleriker die gelbe
Galle, und im Melancholiker die schwarze. — In dem Sinn, wie sie uns
noch heute geläufig sind, d. h. als Bezeichnungen für vier bestimmte
psychophysische Grundtypen oder „Charaktere“, scheinen die vier
Temperamentsnamen erst bei den Arabern des IX. und X. Jahrhun-
derts fixiert worden zu sein. Aber zum mindesten die Voraussetzungen
dieser Fixierung lagen schon in der späten Antike bereit, die die Lehre
von jenen vier Grundsäften vollkommen ausgestaltet und dieselben
bereits zu den „irjc HJUxfjc fj9?i“ in Beziehung gesetzt hatte.2) Damit war
der Begriff der „Komplexion“ im wesentlichen festgestellt, und wenn
die Bezeichnungen der vier Temperamente erst durch die arabische
Gelehrsamkeit auf eine feste und endgültige Formel gebracht worden

1) Vgl. Giehlow a. a. O. 1904, p. 66 ff. Die lieuerdings vertretene Auflösung
des ,,Melencolia I“ in „Melancholia jacet“ —„die Schwermut liegt am Boden“
(Mitt. d. Reichsbundes dtsch. Technik 1919, Nr. 47, 6. Dez.) bedarf u. E. ebenso-
wenig der YViderlegung wie die ältere in „Melancholia i“ = „Geh’ fort, Melan-
cholie!“. Eher wäre noch der von K. Borinski (Die Antike in Poetik und Kunst-
theorie, 1914, p. 165 u. 296 f.) gemachte Vorschlag diskutabel, die „Melen-
colia I“ als „natürliche“ Melancholie im Gegensatz zur „krankhaften“ aufzufassen,
allein diese Formen der Melancholie sind niemals als „erste“ und „zweite“ be-
zeichnet worden (geschweige denn, daß die von B. eingeführten lateinischen Aus-
driicke „melancholia prima“ bzw. „secunda“ irgendwo belegt werden könnten),
und davon abgesehen scheint uns die in Dürers Darstellung hervortretende Auf-
fassung des melancholischen Temperaments zu vielseitig und universell, als daß
sie durch ein so einseitig-medizinisches Einteilungsprinzip bestimmt sein könnte.

2) Galen, -rrepl Kpdceuiv, XV, 97.
 
Annotationen