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Pantheon — 1.1928 = Jg 1.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.57094#0024
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WAS BEDEUTET DIE CHINESISCHE EULE?
von H. ARDENNE DE TIZAC

Unter den neuen Erwerbungen des Musee Cer*
nuschi zieht die hier abgebildete Eule aus bemaltem
Ton die Aufmerksamkeit auf sich. Es ist unbekannt,
in welcher Provinz Chinas sie entdeckt wurde; sie
ist im Oktober 1927 zu einem Pariser Importeur
gelangt und alsbald vom CernuschLMuseum erwor*
ben worden. Die Eule war fraglos zur Aufnahme
einer Flüssigkeit bestimmt; sie ist hohl und hat alle
Merkmale einer Vase. Um ihre rituelle oder häus*
liehe Verwendung zu bestimmen, müßte man die
Rolle und Bedeutung der Eule in den kultlichen
Anschauungen Chinas genau kennen; allein präzise
Angaben darüber fehlen.
Edouard Chavannes war durch einen Text des Sse*
mals’ ien veranlaßt worden, die grausamen Gewöhn*
heiten dieses Vogels kurz zu erwähnen, den man
beschuldigt, seine eigene Mutter zu verschlingen.
Marcel Granet hat die mit der Eule zusammenhän*
genden Sagen weiter erforscht, ohne die Frage zu
erschöpfen. Faßt man die in seinem Werk „Danses
et Legendes de la Chine ancienne“ verstreuten An*
gaben zusammen, so ergibt sich etwa Folgendes:
Wir finden die Eule verbunden mit dem Blitz, der
Trommel und mit der Arbeit der Metallgießer. Sie
ist der Vogel des Donners und als solcher imstande,
das himmlische Feuer abzulenken. Der 5. Tag des
5. Monats, der die Höhe des Prinzips Yang (Feuer)
bezeichnet, ist ihr geweiht; sie gewinnt in diesem
Moment eine besondere Bedeutung als Gegner des
Blitzes. An diesem Tag nahmen die Würdenträger
der Han*Zeit eine Brühe aus Eulen zu sich und man
zerschnitt Eulen in Stücke. Die Gebäude trugen oft
auf den Ecken des Daches skulpierte Eulen als Schutz
gegen Feuersgefahr. Das Bild einer Eule wehrte den
Blitz von dem ab, der sich damit versehen hatte. Die
Eule wurde damals mit menschlichem Gesichte ge*
staltet, nur auf einem Fuße ruhend, eine seltsame Dar*
Stellung. Andrerseits wird von einer Eule auf dem
Berg „Drei Weih“ mit einem Kopf auf drei Körpern
berichtet. Die Eule gilt als Erfinder der Trommel,
sie ist das Tiersymbol der Metallgießer. Wir sehen
sie also vornehmlich als ein Schutzemblem.
Nach anderen Anschauungen erscheint die Eule im
Gegenteil als ein Unglück bringendes und schreck*

liches Wesen. Man sagte ihr nach, wie erwähnt, daß
sie ihre Mutter fräße. Sie ist der dämonische Vogel,
ein Feind junger Mädchen, besonders gefährlich am
Jahresanfang. Man schildert sie in dieser Bedeutung
aiszehnköpfig; abernachdemderHund des Himmels
einen ihrer Köpfe gefressen hat, strömt aus dieser
Wunde ihr für die Kinder gefährliches Blut. Der
Hund ist der Erbfeind der Eule geblieben, die ihn
fürchtet. Gute Menschen, die den Unglück bringen*
den Vogel abschrecken wollen, kneifen einen Hund
in die Ohren, damit er bellt. Ein Offizier war beauf*
tragt, die Eulen der Hauptstadt fernzuhalten; wenn
er eine „göttliche Eule“ bemerkte, mußte er sie mit
krummen Pfeilen schießen.
Diese Texte stimmen, wie man sieht, wenig miteinan*
der überein, sowohl in Hinsicht auf die symbolische
Bedeutung wie das Aussehen der Eule. Sie wird
auch im Zusammenhang mit der legendarischen
Trommel als ein Vogel mit gelber Zeichnung, weißem
Kopf, gradem Schnabel und roten Füßen geschildert.
Zuweilen scheint sich ihre Vorstellung mit einem
Adler, Habicht oder Geier zu vermengen; sie zeigt
dann schwarze Zeichnung, weißen Kopf, roten
Schnabel und Tigerklauen. Diese Darstellung nähert
sich dem Vogel des Cernuschi*Museums: weißer
Kopf, roter Schnabel. Dieses Exemplar aber ist ent*
schieden eine Eule; das Auge, die Ohren, die Federn
auf Brust und Rücken lassen darüber keinen Zweifel.
Das CernuschisMuseum besitzt noch drei andere
Toneulen, aber ohne Bemalung, die in die Plan*
Zeit (3. Jahrh. v. Chr. bis 3. Jahrh. n. Chr.) gesetzt
werden. Alle drei sind Gefäße mit beweglichem Kopf,
der als Deckel dient. Sie sind kleiner als das hier ver*
öffentlichte bemalte Exemplar (hoch 35 cm). Auch
dieses kann mit Wahrscheinlichkeit der Han*Periode
zugeschrieben werden. Es ist eines der ansehnlichsten
bemalten Stücke aus dieser Epoche. Auf den aus sehr
dichtem schwarzem Ton geformten Körper ist eine
weiße Schicht aufgetragen, die ihn ganz bedeckt. Der
großartig stilisierte Flügel, der Schnabel, die Ohren,
der Augenring und die Füße sind rot; das Gefieder auf
Brustund Rückenist rotgemaltmit sehrzarten bläuli*
chen Abstufungen, die Pupille ist schwarz und ein
breiter schwarzer Streifen kreuzt die Mitte der Flügel.

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