Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

DOI issue:
Giese, Charlotte: Die Madonna mit der Korallenkette
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0297
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DIE MADONNA MIT DER K O R A L L E N K E T T E

VON CHARLOTTE GIESE

Die hohe künstlerische Bedeutung des Halberstädter
Altarbildes (Abb. 1, S. 597) und seine Stellung
zwischen dem niedersächsischen und thüringischen
Kunstkreis lassen es verwunderlich erscheinen, daß
man die Frage der Einordnung des Bildes in die
entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhänge der
deutschen Malerei zu Beginn des 15. Jahrhunderts
noch nicht befriedigend gelöst hat.
Es handelt sich hier um die Überreste eines Werkes,
das wohl, wie Förster1) es wahrscheinlich gemacht
hat, das Bild des Hauptaltars im Halberstädter Dom
gewesen ist. Als es 1843 zwecks besserer Bewahrung
in den Kapitelsaal gebracht wurde, soll damals bereits
der rechte Flügel vollkommen verfault und ohne
Malerei gewesen sein. Erhalten ist das Mittelbild mit
der Darstellung der von sechs Heiligen umgebenen
thronenden Gottesmutter und der linke Flügel mit
Johannes dem Täufer auf der Innen- und dem Ver-
kündigungsengel auf der Außenseite. Der verloren
gegangene Flügel zeigte außen die Maria der Ver-
kündigung und innen, dem Johannes Baptista ent-
sprechend, wohl Johannes Evangelista.
Die Malereien sind von Förster, Schnaase2) Jani-
tschek3) und weiterhin von Hermes4) und Doering5)
als kölnisch, Art des Meisters Wilhelm bezeichnet
worden. Von Habicht6) und Heise7) in ihren Be-
trachtungen zur niedersächsischen Malerei über-
gangen, sind sie von Aldenhoven8) Westfalen und
von Hölker9) dem Kreis des Conrad von Soest zu-
gewiesen worden, indes Doering10) sie zuletzt dem
Werk des älteren Sippenmeisters und damit wieder
der kölnischen Schule einreihte.
Ursache des Schwankens in der Zuweisung war
die völlig unzureichende Veröffentlichung und die
schlechte Erhaltung derTafeln. Dem Eingreifen des
sächsischen Provinzialkonservators Ohle ist es zu
danken, daß jetzt eines der schönsten und wert-
vollsten deutschen Tafelgemälde vor dem Verfall
gerettet worden ist11).
So leuchtet heute wieder in alter Farbenschönheit vor
x) Denkmale deutscher Baukunst, Bildnerei und Malerei, Bd. V, Leipzig 1859.
2) Geschichte der bild. Künste, Bd. VI, Düsseldorf 1874.
3) Die Deutsche Malerei 1889.
4) Der Dom zu Elalberstadt, Halberstadt 1896.
5) Bau- und Kunstdenkmäler von Halberstadt, Halle a. S. 1902.
6) Die mittelalterliche Malerei Niedersachsens I, Straßburg 1919.
7) Norddeutsche Malerei, Leipzig 1918.
8) Geschichte der Kölner Malerschule, Lübeck 1902.
9) Meister Conrad von Soest, Münster 1920.

goldenem Grunde auf einem mit Brokat bespannten
Thron die Madonna, eingehüllt in ihren blaugrünen
Mantel, mit dem linken Arm das auf ihrem Knie
sitzende Kind leicht stützend, mit der rechten Hand
in die Schlinge einer Korallenkette greifend, ganz
„zarte Mutter und milde Königin grundloser Barm-
herzigkeit“ (Seuse). Unter den seitlich vorspringen-
den von schlanken Säulen getragenen Baldachinen
desThronbaues sitzen Petrus und Paulus mit Büchern
auf den Knien. Eng an die Seitenlehnen des Thrones
herangerückt, kauern im Mittelgrund zwei Heilige,
durch Kopftuch und darüber gelegten Mantel als
ältere Frauen gekennzeichnet, die rechte ein Körb-
chen mit Weintrauben im Schoße haltend, die linke
ein Buch und Salbgefäß, wahrscheinlich die Heiligen
Anna und Magdalena. Im Vordergrund sitzen die
jugendlich anmutigen Heiligen Barbara mit einer
Monstranz und Katharina mit einem Buch ; Rad und
Schwert liegen hinter ihr. Zu Füßen der Madonna,
eingerahmt von zwei Vasen mit Lilien und Akelei,
knien fünf Engel, während zu Häupten der Madonna
unter einem den Thronsitz krönenden Kielbogen
eine Gruppe von sechs Engeln dem andächtigen
Gesang der vorderen antwortet.
Die Pyramidenkomposition von Madonna, Barbara
und Katharina, die zugleich der Träger der Haupt-
farbakzente ist — schweres Blaugrün im Mantel der
Maria, leuchtendes Gelb und Zinnober in den
Mänteln der beiden Heiligen — gibt dem Bild das
feste Gefüge, das belebt wird durch die zwei Maria
zugeneigten älteren Heiligen, die wieder zu den
männlichen Gestalten durch farbige Diagonalkom
Position — das Grün im Mantel der Anna entspricht
dem Rock des Petrus, das Rötlichviolett des Mantels
der Magdalena dem des Paulus — in Beziehung
gesetzt sind.
Die Symmetrie in der räumlichen, figuralen und far-
bigen Komposition gibt dem Bild eine Stimmung
von andachtsvollem Ernst, bei einer strengen Isoliert-
heit der Gestalten voneinander, die das Bild von
10) Die Kirchen von Halberstadt, Augsburg 1927.
1:l) In der Werkstatt des Konservators ist es von dem Kunstmaler Albert Leusch
wiederhergestellt worden, der sich in dankenswerterweise auf die Sicherung des
alten Bestandes, die Entfernung des Schmutzes und der Übermalungen beschränkt
hat. Gleichzeitig hat das Bild, bisher Nr. 394 der Domsammlung, die Bezeichnung
„Madonna mit der Korallenkette“ erhalten. Siehe „Ein mittelalterliches Altarbild
aus dem Domschatz zu Halberstadt“, Veröffentlichung der Denkmälerkommission
der Provinz Sachsen, 1928. Für die Überlassung der Photographien und Anferti-
gung einiger Detailaufnahmen bin ich Herrn Ohle zu Dank verpflichtet.

595

75
 
Annotationen