Zur Phänomenologie u. Morphologie d. path. "Wahrnehmungstäuschungen. 31
gesehen werden, so glauben wir, daß man den Tatbestand nicht richtig
beschreibt. Gewiß, über die Druckfehler eines Buches lese ich leicht
hinweg. Aber wenn der Druckfehler etwa darin besteht, daß an
Stelle des richtigen Buchstaben e ein a steht, so sehe ich beim Lesen
nicht e statt a, sondern ich lese über diesen Druckfehler hinweg, ich
übersehe ihn, weil der einzelne Buchstabe beim Lesen überhaupt nicht
gesehen wird. Vielmehr die Bedeutungen, die mir beim Lesen auf
Grund der Sehinhalte zugehen, ergeben sich einmal aus dem Zu-
sammenhang, dem Sinne des Ganzen, sind also insofern über-
haupt nicht in Sehinhalten fundiert, und sofern sie mir doch
dadurch zugehen, daß ich immer wieder, wie es ja beim Lesen der
Fall ist, auf das Gedruckte hinschauen und es immer wieder ver-
folgen muß, sind sie nicht in den einzelnen Buchstaben fundiert,
sondern in der Gestaltqualität einzelner Buchstabenkomplexe, d. h.
einzelner Wörter oder sogar Gefüge von Wörtern. Diese Gestalt-
qualitäten der gedruckten Wörter, die für mich beim Lesen die Seh-
inhalte sind, auf denen sich die Bedeutungen aufbauen, können nun
aber innerhalb gewisser Grenzen in den Elementen, auf denen sie
selbst aufgebaut sind, in unserem Fall also in den einzelnen Buch-
staben variieren, ohne daß sich die Gestaltqualität ändert, und das
um so mehr, je mehr mir beim Lesen eines Buches, also da, wo
nicht ein einzelnes gedrucktes Wort sondern ein ganzes sinnvolles Satz-
gefüge gegeben ist, die Bedeutung aus dem Sinne des Ganzen zu-
geht. Wenn man mathematische Operationen vornimmt und mit
Kreide an die Tafel das bekannte Zeichen zeichnet, das Quadrat-
wurzel bedeutet, so kann dies Zeichen innerhalb weiter Grenzen
variieren, so daß die reinen Sehinhalte beträchtlich verschieden sind,
und diese verschiedenen Sehinhalte, von denen man wohl sagen darf,
daß sie in bezug auf ihre Gestaltqualität immer noch etwas iden-
tisches haben, bedeuten dem Sehenden immer noch Quadratwurzel.
Das gleiche gilt für die geschriebenen und gedruckten Wörter und
Wortzusammenhänge und die auf solchen Sehinhalten aufgebauten
Bedeutungen. Schon deshalb darf das Übersehen der Druckfehler
nicht als Pendant zur pathologischen Illusion angeführt werden. Weiter,
was geschieht, wenn ich den Druckfehler bemerke, wie es der Fall
ist, wenn ich ein Gedrucktes eigens auf seine Druckfehler hin durch-
sehe? Bei solchem Korrekturlesen ist meine geistige Aufmerksam-
gesehen werden, so glauben wir, daß man den Tatbestand nicht richtig
beschreibt. Gewiß, über die Druckfehler eines Buches lese ich leicht
hinweg. Aber wenn der Druckfehler etwa darin besteht, daß an
Stelle des richtigen Buchstaben e ein a steht, so sehe ich beim Lesen
nicht e statt a, sondern ich lese über diesen Druckfehler hinweg, ich
übersehe ihn, weil der einzelne Buchstabe beim Lesen überhaupt nicht
gesehen wird. Vielmehr die Bedeutungen, die mir beim Lesen auf
Grund der Sehinhalte zugehen, ergeben sich einmal aus dem Zu-
sammenhang, dem Sinne des Ganzen, sind also insofern über-
haupt nicht in Sehinhalten fundiert, und sofern sie mir doch
dadurch zugehen, daß ich immer wieder, wie es ja beim Lesen der
Fall ist, auf das Gedruckte hinschauen und es immer wieder ver-
folgen muß, sind sie nicht in den einzelnen Buchstaben fundiert,
sondern in der Gestaltqualität einzelner Buchstabenkomplexe, d. h.
einzelner Wörter oder sogar Gefüge von Wörtern. Diese Gestalt-
qualitäten der gedruckten Wörter, die für mich beim Lesen die Seh-
inhalte sind, auf denen sich die Bedeutungen aufbauen, können nun
aber innerhalb gewisser Grenzen in den Elementen, auf denen sie
selbst aufgebaut sind, in unserem Fall also in den einzelnen Buch-
staben variieren, ohne daß sich die Gestaltqualität ändert, und das
um so mehr, je mehr mir beim Lesen eines Buches, also da, wo
nicht ein einzelnes gedrucktes Wort sondern ein ganzes sinnvolles Satz-
gefüge gegeben ist, die Bedeutung aus dem Sinne des Ganzen zu-
geht. Wenn man mathematische Operationen vornimmt und mit
Kreide an die Tafel das bekannte Zeichen zeichnet, das Quadrat-
wurzel bedeutet, so kann dies Zeichen innerhalb weiter Grenzen
variieren, so daß die reinen Sehinhalte beträchtlich verschieden sind,
und diese verschiedenen Sehinhalte, von denen man wohl sagen darf,
daß sie in bezug auf ihre Gestaltqualität immer noch etwas iden-
tisches haben, bedeuten dem Sehenden immer noch Quadratwurzel.
Das gleiche gilt für die geschriebenen und gedruckten Wörter und
Wortzusammenhänge und die auf solchen Sehinhalten aufgebauten
Bedeutungen. Schon deshalb darf das Übersehen der Druckfehler
nicht als Pendant zur pathologischen Illusion angeführt werden. Weiter,
was geschieht, wenn ich den Druckfehler bemerke, wie es der Fall
ist, wenn ich ein Gedrucktes eigens auf seine Druckfehler hin durch-
sehe? Bei solchem Korrekturlesen ist meine geistige Aufmerksam-