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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0107
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Versuch zu einer Darstellung u. Kritik der FREUDschen Neurosenlehre. 103

Kriterien der Fälle angegeben werden, in denen der Feeud sehe Rück-
schluß angewendet werden darf. Wir deuteten an, daß wir solche
Kriterien bei habituellen, eventuell auch qualitativ charakterisierten
Fehlhandlungen auffindbar glauben. Es gibt eben gewisse Unge-
schicklichkeiten, Zufälle, Versehen usw., die nur gewissen Menschen
passieren, diesen aber auch regelmäßig.

Dadurch, daß wir die Grenzen der bedingten Gültigkeit des
Freud sehen Zusammenhanges aufgezeigt haben, sind wir auch der
Quelle beigekommen, aus der die eingeschworenen Freudanhänger ihre
Überzeugungsgewißheit herleiten. Jene Fälle des tendenziösen Ver-
gessens u. dgl., namentlich des tendenziösen Unterlassens vorge-
nommener Handlungen, sind es, an denen sich die Freudianer immer
wieder orientieren, wenn ihnen die allgemeine Unzulänglichkeit der
Freud sehen Theorie methodisch aufgezeigt wird. Jeder die Psycho-
analyse ausübende Praktiker hat in der Regel einen oder ein paar
solche Fälle aus seiner persönlichen Erfahrung parat, aus denen ihm
dann das Überzeugungsgefühl für die anscheinend minder durch-
sichtigen und in Wahrheit ganz andersartigen Fälle abfärbt.

Aus der Verkennung aber der beschränkten und vereinzelten
Gültigkeit des von Freud allgemein behaupteten Zusammenhanges
hat sich in der Analyse der Fehlleistungen bei den Freudianern ein
Unfug entwickelt, der fast noch größer ist als der Unfug der Traum-
deutung. Denn ihre Traumdeuterei können sie doch nur bei dem-
jenigen vollziehen, der sie der Mitteilung ihrer Träume würdigt, die
Fehlleistungen aber deuten die unkritischen Fanatiker überall, wo
sie sie im täglichen Leben bemerken, ohne daß sie es für nötig
halten, den Urheber der Fehlleistung zu analysieren, und ohne daß
sie fähig wären, die obwaltenden psychologischen Nebenbedingungen
kritisch zu erfassen. Freud ist wenigstens in der Formulierung vor-
sichtig, er schreibt beispielsweise zusammenfassend: »Neben dem
einfachen Vergessen von Eigennamen kommt auch ein Vergessen vor,
welches durch Verdrängung motiviert ist«. Die Freudianer kennen
eine solche Zurückhaltung nicht mehr. Für sie bedeutet praktisch
jedes Nichtreproduzierenkönnen ein Vergessen und jedes Vergessen
ein Verdrängen. Gerade auf dem Gebiete der Fehlleistungen des
Normalbewußtseins produzieren die Freudianer fortgesetzt in der
Literatur die allergrößten Ungeheuerlichkeiten, und im alltäglichen
 
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