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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Zweites Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0199
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Versuch zu einer Darstellung u. Kritik der FüEUDschen Neurosenlehre. 195

statt, Feeüd erledigt die Frage des Materials mit dem einen Satze,
daß die Theorie auf >die außerordentlich häufigen Befunde von an-
geblich regelwidrigen und ausnahmeartigen sexuellen Regungen in
der Kindheit sowie die Aufdeckung der bis dahin unbewußten Kind-
heitserinnerungen der Neurotiker« aufgebaut sei. In der Darstellung
der Theorie begnügt er sich eigentlich mit dem Hinweis auf be-
kannte Dinge: das Lutschen, Säuglings- und Pubertätsonanie, in-
fantile Sympathiebeziehungen zu den Eltern u. dgl. Alles Neue
liegt also nicht in den Tatsachen, sondern in der Theorie, durch
die bekannte Dinge in neuem Lichte gezeigt werden. Dieses Neue
besteht darin, daß Dinge in Beziehung zur Sexualität gebracht
werden, die wir bisher nicht in dieser Beziehung zu sehen gewohnt
waren. Dieses Neue ist möglich gemacht durch das, was das Prin-
zipielle an der FKEUDschen Sexualtheorie ist, nämlich daß er den
Sexualtrieb als »etwas aus vielen Faktoren Zusammengesetztes« auf-
faßt, das erst durch Gegenkräfte, die im Laufe einer Entwicklung
sich ausbilden, in der Richtung auf ein einhelliges Triebziel zu-
sammengefaßt wird. Durch diese Auffassung gewinnt er eben die
Möglichkeit, auch gewisse Äußerungen des vorsexuellen Lebens (ins-
besondere die Sensationen aus »erogenen« Zonen und infantile Sym-
pathiebezeugungen) dem Sexualtrieb zuzurechnen, wie auch die Be-
tätigungsweisen der perversen Sexualität im normalen Sexualtrieb
als »Partialtriebe« oder »Komponenten« wiederzufinden. Im Gegen-
satz zu dieser Ausweitung des Begriffes des Sexualtriebes ist der
vulgäre wie auch der wissenschaftliche Sprachgebrauch ein viel
engerer und ganz eindeutiger. Wir wissen genau, was wir meinen,
wenn wir sagen, ein Sohn habe zu seiner Mutter eine sexuelle Nei-
gung, und wenn wir etwa in einem Ninondrama hören, daß der
Sohn die Mutter geschlechtlich liebt, so meinen wir damit ein ganz
bestimmtes Quale, das um eine ganze Welt verschieden ist von der
normalen Kindesliebe, die ja nach Freud nur eine maskierte Äuße-
rung infantiler Sexualität sein soll. Um das gegenseitige Verhältnis
des usuellen und des FREUDschen SexualitätsbegrifPes zu bezeichnen,
könnten wir sagen: im herkömmlichen Gebrauch wird mit Sexuali-
tät ungefähr das gemeint, was Freud lediglich als die Besonder-
heiten des entwickelten Sexualtriebes betrachtet. Insbesondere
gehört dazu die sexuelle Intention auf eine andere (normaliter ge-
 
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