234 Kuno Mittenzwey
Typisch für die ganze Art dieser Kalturanalysen ist auch die in
diesem Aufsatz befolgte Methode. Ausgegangen wird von dem Zere-
moniell, also von der Betätigungsform des religiösen Kultus, welcher
wieder nur eine Erscheinungsweise der Verwirklichung religiöser
Inhalte ist. Von dem Zeremoniell aus wird die Analogie zu der
Zwangsneurose aufgestellt, und nun wird alles, was nicht stimmt,
hinzuhypostasiert: die Verdrängung egoistischer Triebe usw. Vor allem :
was bei der Zwangsneurose zu der Annahme einer Verdrängung ver-
anlaßte, war doch, daß die zwangsneurotischen Handlungen zunächst
sinnlos und unmotiviert erscheinen. Die religiösen zeremoniellen
Handlungen dagegen sind durch religiöse Inhalte begründet und sind
im Rahmen der religiösen Logik wohlmotiviert. Dies weiß Freud
auch; er macht sich aber den Weg für seine Behauptungen frei mit
dem Satze: »Man muß daran denken, daß auch der einzelne Fromme
in der Regel das religiöse Zeremoniell ausübt, ohne nach dessen Be-
deutung zu fragen, während allerdings der Priester und der Forscher
mit dem meist symbolischen Sinn des Ritus bekannt sein mögen.
Die Motive, die zur Religionsübung drängen, sind aber allen (!)
Gläubigen unbekannt oder werden in ihrem Bewußtsein durch vor-
geschobene Motive vertreten.« Hieraus folgt, daß Freud logischer-
weise höchstens etwas über die individuelle Religionsbetätigung
aussagen kann, aber nicht über »die Religion«. Und in der
Tat wird kein Mensch bestreiten, daß sich eine individuelle Religions-
übung in Fällen auf zwangsneurotischer Grundlage erheben kann.
Aber das betrifft nicht die Inhalte, die das Wesen der Religion aus-
machen. Ja, auch ein Psychologist, der allgemeingültige Inhalte und
Wesenheiten nicht anerkennt, kann sich mit den FREUDschen Auf-
stellungen nicht zufrieden geben. Denn Feeüd gibt auch nicht die Ent-
stehung der religiösen Inhalte an, sondern er ist allerhöchstens be-
fähigt und berechtigt, das individuelle Kultverhältnis zu den religiösen
Inhalten anzugeben, wobei diese Inhalte als vorhanden und ander-
weit entstanden vorausgesetzt sind. Es ist dieselbe typische Über-
schreitung, wie bei den Fehlhandlungen oder bei der Witzanalyse:
Freuds Analysen wären befähigt, die Besonderheit gewisser psych-
ischer Haltungen zu erfassen. Aber durch das Vordringen zum in-
haltlichen Wesen der in diesen Haltungen verwirklichten Inhalte (für
die jedoch diese Haltungen nicht die einzigen Realisierungsformen
Typisch für die ganze Art dieser Kalturanalysen ist auch die in
diesem Aufsatz befolgte Methode. Ausgegangen wird von dem Zere-
moniell, also von der Betätigungsform des religiösen Kultus, welcher
wieder nur eine Erscheinungsweise der Verwirklichung religiöser
Inhalte ist. Von dem Zeremoniell aus wird die Analogie zu der
Zwangsneurose aufgestellt, und nun wird alles, was nicht stimmt,
hinzuhypostasiert: die Verdrängung egoistischer Triebe usw. Vor allem :
was bei der Zwangsneurose zu der Annahme einer Verdrängung ver-
anlaßte, war doch, daß die zwangsneurotischen Handlungen zunächst
sinnlos und unmotiviert erscheinen. Die religiösen zeremoniellen
Handlungen dagegen sind durch religiöse Inhalte begründet und sind
im Rahmen der religiösen Logik wohlmotiviert. Dies weiß Freud
auch; er macht sich aber den Weg für seine Behauptungen frei mit
dem Satze: »Man muß daran denken, daß auch der einzelne Fromme
in der Regel das religiöse Zeremoniell ausübt, ohne nach dessen Be-
deutung zu fragen, während allerdings der Priester und der Forscher
mit dem meist symbolischen Sinn des Ritus bekannt sein mögen.
Die Motive, die zur Religionsübung drängen, sind aber allen (!)
Gläubigen unbekannt oder werden in ihrem Bewußtsein durch vor-
geschobene Motive vertreten.« Hieraus folgt, daß Freud logischer-
weise höchstens etwas über die individuelle Religionsbetätigung
aussagen kann, aber nicht über »die Religion«. Und in der
Tat wird kein Mensch bestreiten, daß sich eine individuelle Religions-
übung in Fällen auf zwangsneurotischer Grundlage erheben kann.
Aber das betrifft nicht die Inhalte, die das Wesen der Religion aus-
machen. Ja, auch ein Psychologist, der allgemeingültige Inhalte und
Wesenheiten nicht anerkennt, kann sich mit den FREUDschen Auf-
stellungen nicht zufrieden geben. Denn Feeüd gibt auch nicht die Ent-
stehung der religiösen Inhalte an, sondern er ist allerhöchstens be-
fähigt und berechtigt, das individuelle Kultverhältnis zu den religiösen
Inhalten anzugeben, wobei diese Inhalte als vorhanden und ander-
weit entstanden vorausgesetzt sind. Es ist dieselbe typische Über-
schreitung, wie bei den Fehlhandlungen oder bei der Witzanalyse:
Freuds Analysen wären befähigt, die Besonderheit gewisser psych-
ischer Haltungen zu erfassen. Aber durch das Vordringen zum in-
haltlichen Wesen der in diesen Haltungen verwirklichten Inhalte (für
die jedoch diese Haltungen nicht die einzigen Realisierungsformen