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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0438
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434 Alfred Storch

zu verlangen. Das hieße die Aufgabe des Experiments für das hier
betrachtete Gebiet mißdeuten; diese erblicken wir ganz im Gegenteil
in einem detaillierenden Herausarbeiten einzelner im Zustandsbild
schon bemerkbarer Züge. Versuchen wir nun zunächst die ver-
schiedenartigen Âuffassungs- und Aufmerksamkeitsstörungen
unserer Versuchspersonen zu charakterisieren und zu deuten.

Bei allen Manischen und manchen von den Depressiven konnten
wir Auffassungsstörungen feststellen, die sich auf verschiedenartige
Weise, in schweren Fehlern und verringertem, positivem Wissen be-
merkbar machten. Die mangelhafte Auffassung der Manischen ist
eine bekannte psychopathologische Erscheinung, die sich durch das
geringe Haften und die Ablenkbarkeit ihrer Aufmerksamkeit1 leicht
erklärt2. Es soll nun keineswegs gesagt werden, daß alle unsere
manischen Versuchspersonen unaufmerksame Bildbetrachter waren.
Vor allem das lebensvolle und dramatisch bewegte Totentanzbild
vermochte lebhaft zu interessieren und die Aufmerksamkeit zu fesseln,
so daß eine und die andere der Versuchspersonen schon vor der Auf-
forderung zum Bericht beim bloßen Ansehen des Bildes ihren Ge-
fühlen recht prägnanten Ausdruck gab (besonders Vp. E und A).
Doch fielen gerade bei den letztgenannten am Bild sichtlich inter-
essierten Versuchspersonen die dürftigen wenig interessierten Berichte
auf, die deutlich zeigten, daß die Versuchspersonen beim Berichte schon
nicht mehr recht bei der Sache waren (Vp. A ließ sich im Bericht
durch ihre eigenen Worte — das immer wiederkehrende Wort »tot« —
auf Nebenwege verlocken und war nicht mehr zu konzentrieren). Mit
dem Fortnehmen des Bildes entschwand ihnen auch die Aufgabe.
Denn es gibt für die Manischen wohl eine Konzentration auf Gegen-
wärtiges, falls dieses stark genug wirkt und das Interesse wach
zu halten imstande ist, aber es gibt keine Konzentration auf ein Ziel

1 Der Begriff »Aufmerksamkeit« ist nicht eindeutig (s. Külpe, Psychol, und
Medizin, a. a. 0. S. 214). Mit dem Wort »Aufmerksamkeit« ist im folgenden ins-
besondere die Konzentrationsfähigkeit, mit »Aufmerksam sein« ein »innerliches
Zusammengefaßtsein« auf das Beachtete gemeint (s. M. Geiger, Das Bewußtsein
von Gefühlen, Münchn. philos. AbhandL, Th. Lipps zu seinem 60. Geburtstage
gewidmet).

1 Kbaepeun, Psychiatrie. 7. Aufl. Leipzig 1904. II. S. 498. Henet Wolfs-
kehl, Auffassungs- und Merkstörungen bei manischen Kranken, in Kraepelins
psychol. Arbeiten. V. Bd. 1910.
 
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