Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

DOI issue:
Drittes Heft
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0454
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
450 Kuno Mittenzwey

Diese Auflösung gestaltete sich außerordentlich vielverzweigt.
Die Ratten wurden zunächst über die Assoziation »Spielratte« mit
dem Vater in Beziehung gebracht, welcher in jungen Jahren eine
Spielschuld unbeglichen gelassen hatte, ferner rührten sie über die
Assoziation Ratten-Katen (= Geld) an die Analerotik des Kranken.
Die Ratten dienten aber auch als die Träger gefährlicher Infektionen
zum Symbol für die Angst vor syphilitischer Ansteckung, wohinter
wieder Zweifel an der Lebensführung des Vaters versteckt waren.
»In anderem Sinne: Träger der syphilitischen Infektion war der Penis
selbst, und so wurde die Ratte zum Geschlechtsglied.« Der Penis
wiederum »kann ohne weiteres als Wurm beschrieben werden«, Spul-
würmer spielen in der Analerotik eine große Rolle, und »so ruhte
die Penisbedeutung der Ratten wiederum auf der Analerotik«. Die
Einsetzung des Penis für die Ratten in die Rattenzwangsvorstellung
ergibt die Situation eines Verkehrs per anum, und dazu fügt sich
wieder der Deckeinfall »Heiraten« ein. »Doch fiel trotz all dieses
reichen Materials so lange kein Licht auf die Bedeutung seiner
Zwangsidee, bis eines Tages die Rattenmamsell aus Ibsens Klein
Eyolf auftauchte und die Folgerung unabweisbar machte, in vielen
Ausgestaltungen seiner Zwangsdelirien bedeuteten die Ratten auch
Kinder.« Schließlich findet der Kranke sogar in der Ratte »sein
ganz natürlich Ebenbild«. — Wie alle diese verschiedenen Deutungen
unter einen Hut gebracht und zu einem Zusammenhange vereinigt
werden, kann hier nicht berichtet werden. — »Einfachere Lösungen
für so schwere Zwangsideen oder Lösungen mit anderen Mitteln zu
erwarten, ist man wohl nicht berechtigt. Mit der Lösung, die sich
ergab, war das Rattendelirium beseitigt.«

Dieser Fall ist deswegen so außerordentlich instruktiv, weil hier
zum ersten Mal an einem Beispiel gezeigt ist, wie Freud sich die
Struktur einer Neurose vorstellt (das »Bruchstück« war ja gerade am
entscheidenden Punkt ein Bruchstück geblieben). Von einem aktuellen
Symptomkomplex aus führt ein dünner Faden zum Vater, der sich
seinerzeit in einer ähnlichen Situation befunden habe wie der Kranke,
und über den Vater zurück in die Kindheit, und nun wird alles, was
der Krankheit die Notwendigkeit geben soll, in das unbekannte Land
der Kindheit verlegt. Mit erfreulicher Deutlichkeit sagt Freud:
»Sein Verhältnis zur Geliebten fiel zum großen Teil in seine be-
 
Annotationen