472 Baino Mittenzwey
lungsphase über eine größere Zeitstrecke dauert. Aber was für
den Sexualtrieb allenfalls hinzunehmen wäre, führt bei den Lebens-
trieben sofort zu den größten Schwierigkeiten und zur ärgsten Kol-
lision mit der Frage der Selbsterhaltung.
Wir wollen also gar nicht erst lange darüber nachdenken, in
welchem Sinne diese Prinzipien »Prinzipien« seien und was sie für
eine Psychogonie leisten, sondern wollen sofort zu der Frage vor-
dringen, welche empirischen psychologischen Tatsachen ihnen zugrunde
liegen, und was sie eventuell zu deren Erklärung leisten. Da wird
zunächst selbst aus unserem zusammenfassenden Eeferat schon be-
merkbar geworden sein, daß die Formulierungen über die Entwicklung
am Sexualtrieb ungleich anschaulicher wirken als die Formulierungen
über die allgemein-psychischen Mechanismen. Es macht den Eindruck,
als ob die ganze behauptete Entwicklung vom Lustprinzip zum Rea-
litätsprinzip vom Sexualtrieb hergeleitet sei. Tatsächlich scheint es
ja am Sexualtrieb so zu sein, als ob die Bedürfnisbefriedigung zu-
nächst halluzinatorisch und autoerotisch, in Beschränkung auf den
eigenen Leib, erfolge, und als ob erst sekundär die Hinwendung zum
außenweltlichen Sexualobjekt erfolge. Dies ist die erste Tatsachen-
reihe. Hierzu kommt zweitens die notorische »Wirklichkeitsscheu«
der Neurotiker. Diese Wirklichkeitsscheu betrifft nicht etwa nur
das emotionale Verhältnis des Neurotikers zum praktischen Leben,
zu seiner Umgebung, sondern sie erstreckt sich bis in den Geltungs-
charakter des geheimen Vorstellungs- und Phantasielebens des Neu-
rotikers hinein. »Der befremdendste Charakter der unbewußten (ver-
drängten) Vorgänge, an den sich jeder Untersucher nur mit großer
Selbstüberwindung gewöhnt, ergibt sich daraus, daß bei ihnen die
Realitätsprüfung nichts gilt, die Denkrealität gleichgesetzt wird der
äußeren Wirklichkeit, der Wunsch der Erfüllung, dem Ereignis, wie
es sich aus der Herrschaft des alten Lustprinzips ohne weiteres ab-
leitet. Darum wird es auch so schwer, unbewußte Phantasien von unbe-
wußt gewordenen Erinnerungen zu unterscheiden. Man lasse sich aber
nie dazu verleiten, die Realitätswertung in die verdrängten psychischen
Bildungen einzutragen und etwa Phantasien darum für die Symptom-
bildung gering zu schätzen, weil sie eben keine Wirklichkeiten sind,
oder ein neurotisches Schuldgefühl anderswoher abzuleiten, weil sich
kein wirklich ausgeführtes Verbrechen nachweisen läßt. Man hat
lungsphase über eine größere Zeitstrecke dauert. Aber was für
den Sexualtrieb allenfalls hinzunehmen wäre, führt bei den Lebens-
trieben sofort zu den größten Schwierigkeiten und zur ärgsten Kol-
lision mit der Frage der Selbsterhaltung.
Wir wollen also gar nicht erst lange darüber nachdenken, in
welchem Sinne diese Prinzipien »Prinzipien« seien und was sie für
eine Psychogonie leisten, sondern wollen sofort zu der Frage vor-
dringen, welche empirischen psychologischen Tatsachen ihnen zugrunde
liegen, und was sie eventuell zu deren Erklärung leisten. Da wird
zunächst selbst aus unserem zusammenfassenden Eeferat schon be-
merkbar geworden sein, daß die Formulierungen über die Entwicklung
am Sexualtrieb ungleich anschaulicher wirken als die Formulierungen
über die allgemein-psychischen Mechanismen. Es macht den Eindruck,
als ob die ganze behauptete Entwicklung vom Lustprinzip zum Rea-
litätsprinzip vom Sexualtrieb hergeleitet sei. Tatsächlich scheint es
ja am Sexualtrieb so zu sein, als ob die Bedürfnisbefriedigung zu-
nächst halluzinatorisch und autoerotisch, in Beschränkung auf den
eigenen Leib, erfolge, und als ob erst sekundär die Hinwendung zum
außenweltlichen Sexualobjekt erfolge. Dies ist die erste Tatsachen-
reihe. Hierzu kommt zweitens die notorische »Wirklichkeitsscheu«
der Neurotiker. Diese Wirklichkeitsscheu betrifft nicht etwa nur
das emotionale Verhältnis des Neurotikers zum praktischen Leben,
zu seiner Umgebung, sondern sie erstreckt sich bis in den Geltungs-
charakter des geheimen Vorstellungs- und Phantasielebens des Neu-
rotikers hinein. »Der befremdendste Charakter der unbewußten (ver-
drängten) Vorgänge, an den sich jeder Untersucher nur mit großer
Selbstüberwindung gewöhnt, ergibt sich daraus, daß bei ihnen die
Realitätsprüfung nichts gilt, die Denkrealität gleichgesetzt wird der
äußeren Wirklichkeit, der Wunsch der Erfüllung, dem Ereignis, wie
es sich aus der Herrschaft des alten Lustprinzips ohne weiteres ab-
leitet. Darum wird es auch so schwer, unbewußte Phantasien von unbe-
wußt gewordenen Erinnerungen zu unterscheiden. Man lasse sich aber
nie dazu verleiten, die Realitätswertung in die verdrängten psychischen
Bildungen einzutragen und etwa Phantasien darum für die Symptom-
bildung gering zu schätzen, weil sie eben keine Wirklichkeiten sind,
oder ein neurotisches Schuldgefühl anderswoher abzuleiten, weil sich
kein wirklich ausgeführtes Verbrechen nachweisen läßt. Man hat