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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0486
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482 Wilhelm Specht

wirklichnehmen setzt und das Wirklichsein der wahrgenommenen
Gegenstände als primitives Urteil faßt, als ein Urteil, das zwar nicht
in einem vollständigen Aussagesatz gefällt werde, aber den gleichen
Sinn habe wie dieser.

Besteht jene Lehre zu Recht, daß bei der Wahrnehmung erst
durch eine Deutung das »Unmittelbare«, das >Empfindungsdatum«,
der »Inhalt«, z. B. der Sehinhalt zu einem bestimmten Etwas, dem
Bot werde, so wäre eine Theorie der Halluzinationen möglich, die
sagte, bei der Halluzination seien die zu deutenden Inhalte die
gleichen wie in der natürlichen Wahrnehmung, das Anormale liege
in der Urteilssphäre, der Sphäre des Deutens, Glaubens, Behauptens,
Setzens, darin, daß die Inhalte falsch gedeutet, unter »andere« Be-
deutungseinheiten subsumiert würden als in der natürlichen Wahr-
nehmung. Die Halluzination wäre dann als Urteilstäuschung dem
Irrtum vergleichbar, dem ich unterliege, wenn ich (ein Beispiel
Schelers) auf Grund einer wahrgenommenen Nässe diese Nässe als
Begen deute, während in Wirklichkeit ein Sprengwagen vorüber-
gefahren ist.

Die kritische Auseinandersetzung mit dieser Urteilstheorie ist
— sofern man nur die Sache im Auge behält — unabhängig von
der Stellungnahme zu der in der neueren Logik viel umstrittenen
Frage der Abgrenzung von Wahrnehmung und Urteil1, unabhängig
also davon, ob man das Wort Urteil in einer der logischen Tradition
folgenden Bedeutung nimmt, die an der Aussage, der Prädikation
orientiert ist, oder ob man zu dem Urteil auch die »Seinswerte
zuerteilenden«, die »setzenden« Akte zählen will, also die Akte des
belief, des Urteils im Sinne von Mill und Brentano.

Zunächst, wenn gesagt wird, daß die Wahrnehmung ein elemen-
tares Urteil sei, das denselben Sinn habe wie ein vollständiger Aus-
sagesatz, so ist es richtig, daß die einfachste Aussage wie »Rot«

» Vgl. hierzu Brentano, Psychologie vom emp. Standp. I, 1874, S. 266 ff. —
Sigwart, Logik I, 3. Aufl., S. 93 ff. — Erdmann, Logik I, 2. Aufl., S. 343 ff. —
Stumpf, Erscheinungen und psychische Funktionen 1907, S. 16. — Husserl,
Log. Unters. II, S. 445 ff. — Maier, Psychol, des emotionalen Denkens, S. 165 ff. —
Volkelt, Quellen der menschl. Gewißheit, 1906, S. 11. — Meinung, Über An-
nahmen, 2. Aufl. 1910, S. 3 ff. — Kerler, Über Annahmen H, Ulm 1911. —
Bergmann, Untersuchungen zum Problem d. Evidenz d. inn. 'Wahrnehmung 1908,
S. 5 ff. — Reinach, Zur Theorie des negativen Urteils. Lipps-Pestschrift S. 213 ff.
 
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