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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0517
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Zur Phänomenologie u. Morphologie d. path. Wahrnehmungstäuschungen. 513

Wenn ich beim Lesen den falschen Buchstaben eines Wortes nicht
bemerke oder anstatt, wie die Theorie sagt, des falschen den richtigen
sehe, so soll das darauf beruhen, daß die übrigen Buchstaben die
gleichen reproduzieren und diese dann den mit ihnen äußerlich ver-
bundenen richtigen Buchstaben. Aber weshalb, so könnte man fragen,
lese ich dann nicht den wirklich dastehenden falschen Buchstaben
und anstatt der anderen richtigen Buchstaben lauter falsche? Diese
anderen reproduzieren doch auch die ihnen gleichen und die repro-
duzierten gleichen Buchstabenelemente waren in früheren Wahr-
nehmungen doch mit allen anderen nur möglichen Buchstaben äußer-
lich verbunden. Woher also die Sonderstellung des einen Buchstaben?
Nun, es leuchtet ohne weiteres ein, daß für das Hinweglesen über
einen Druckfehler die einzelnen Buchstaben, aus denen das Wort-
gebilde besteht, überhaupt nicht in Frage kommen, sondern nur die
Gestalt eines Wortbildes als eines Ganzen oder sogar mehrerer Wort-
bilder. Diese Gestaltqualitäten können aber, ohne ihre Qualität
aufzugeben, in ihren Elementen, auf die sie aufgebaut sind,
in gewissen Grenzen variieren, und sie können das unisomehr
tun, als die mir beim verständnisvollen Lesen zugehenden Bedeu-
tungen sich zum Teil aus dem Sinn des Ganzen ergeben und in-
sofern in den Sehinhalten, den Gestaltqualitäten überhaupt nicht
fundiert sind. Sofern sie aber doch in den Sehbildern fundiert sind,
sind sie in den Sehbildern ganzer Wörter oder einer Mehrheit von
solchen fundiert, und die einzelnen Buchstabenelemente kommen mir
erst dann zur selbständigen Gegebenheit, wenn ich zu dem besonderen
Zweck, iu einem Text die Druckfehler ausfindig zu machen, mit der
geistigen Aufmerksamkeit eine mühevolle Wendung von den in den
Sehinhalten fundierten Bedeutungen auf die Sehinhalte selbst und
noch weiter auf die die Sehinhalte als Ganzes konstituierenden Ele-
mente mache. Hat also die Theorie schon damit nicht Recht, daß
sie vermeint, daß an Stelle eines wirklich vorhandenen falschen Buch-
stabens ein nicht wirklich vorhandener, aber aus dem Gedächtnis-
schatz hineinprojizierter wirklich gesehen wird, so geht sie weiter
irrig, wenn sie zur Erklärung des Hinweglesens über den Druck-
fehler die Assimilation anstatt zwischen dem Sehinhalt als einem
Ganzen und seinem Gedächtnisbilde zwischen deren Elementen statt-
haben läßt. Die Annahme eines Assimilationsprozesses zur Erklärung

Zeitschrift f. Pathopsychologie. II. 34
 
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