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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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Drittes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0371
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Über Echtheit und XJnechtheit von Gefühlen. 367

Indifferenz in keinem Sinne sich verändert zu haben, sie dauert qua-
litativ gleich fort. Ich werde ja auch nicht durch irgend eine Ände-
rung ihrer Qualität auf ihre XJnechtheit aufmerksam, sondern dadurch,
daß ich das Gefühl der Indifferenz in mir konstatiere, welches eine
Zeitlang sich mir entziehen konnte, gerade weil im Gefühl der Liebe,
das dem Gehalt und Umfang nach mich am meisten okkupierte, nicht
die leiseste Änderung vorging1. Das wird sofort anschaulich, wenn
man einen Augenblick auf den phänomenalen Bestand das Ich re-
flektiert. Dieser kann freilich trotz des Hinzutretens der tieferen
Indifferenz seinem Umfang nach unverändert bleiben. Es ist dann
so, daß das Gefühl der Liebe seinen Anspruch auf Erfüllung des
ganzen phänomenalen Ich aufgeben muß und sich in die obere
Schicht zurückzieht, die Tiefe dem neuen Gefühl der echten Indiffe-
renz überlassend. Dann ist, weil derselbe phänomenale Bestand des
Ich zwischen zwei Gefühlen aufgeteilt wird, eine Qualitätsänderung
des Liebesgefühls wahrscheinlich, z. B. Verminderung seiner Frische.
Ebensowohl aber kann zu dem gegebenen phänomenalen Bestand
eine neu sich bildende Schicht mit eben dem Gefühl der Indifferenz
hinzutreten, das phänomenale Ich also eine Erweiterung erfahren
und dann ist kein Grund mehr zu einer Veränderung des Liebes-
gefühls. Dieser ernste Fall der Unberührtheit des unechten Gefühls
ist der für die Erkenntnis des Wesens der Echtheit und Unechtheit
wichtigste; denn er zeigt ihre vollkommene innere Unabhängigkeit
von irgend einer qualitativen Bestimmtheit. Dadurch, daß das ent-
scheidende Moment in die Form der Widerspruchenheit oder Un-
widersprochenheit verlegt wird, die an sich gleichgültig ist gegen
die Qualität des Gefühls, ist es erklärt, wie es möglich ist, daß ein
und dasselbe Gefühl das eine Mal echt, das andere Mal unecht sein
kann, also bei bloß numerischer Verschiedenheit. Man darf also
sagen: kein Gefühl, wie immer es im Erleben gegeben sein mag,
ist von Natur echt oder unecht.

2. Die aktive Form der Opposition und die Veränderung des un-
echten Gefühls.

Das tiefere Gefühl macht sein imanentes Recht in irgendeinem
Grade aktiv geltend. Von der fühlbaren Angriffstendenz bis zum

4 Zu sagen, daß ich seit dem Einsetzen der Indifferenz die Liebe nicht mehr
erlebte, sondern nur noch zu erleben glaubte, ist eine offenbare Sinnlosigkeit.
 
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