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Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 2.1913 - 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.2778#0072
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68 Emil Freiherr von Gebsattel

verstummen, erstarren, sich »in sich selber verkriechen«, oder die
Beachtungsangst verdrängend in übertriebener Lebhaftigkeit die
Äußerung in Rede, Lachen, Aktion forcieren. Dabei ist es im Effekt
gleichgültig, ob diese Beobachtung in Wirklichkeit besteht, oder nur
in der Einbildung des Beobachtungsscheuen. Prüft man nun diese
Ängste, so zeigt sich, daß sie in bezug auf den Inhalt von der Angst
der Beachtungsverweigerung nicht wesentlich verschieden sind. Wer
sich beobachtet fühlt, fühlt sich in peinlicher Weise auf seine je-
weilige Äußerung reduziert. Der Beobachter vertauscht das Ver-
hältnis der emotionalen Gegenseitigkeit, welches die Basis alles Ver-
kehrs ist, mit der zweckgeleiteten Beobachtungseinstellung auf die
peripherste Äußerung; er verengert also das Erscheinungsrelief der
fremden Gesamtpersönlichkeit, indem er sie detailliert und parzelliert.
Wie dem Beobachter wird dem Beobachteten die eigene Existenz
fragwürdig. Des einzig adäquaten Zugeständnisses seiner Realität,
des emotionalen nämlich, von Seiten des Zuschauers beraubt, erlebt
er diese plötzliche existentielle Problematik in einem Angstaffekt1.
Ein besonderer Modus des Fühlbarwerdens für den Trieb nach
Beachtung ist weiterhin gegeben in den neurotischen, zeigelustigbe-
dingten Angstaffekten. Wie bereits angedeutet (vgl. S. 62), gibt es
eine elementarste Realisationsstufe für den Trieb nach Beachtung,
die exhibitionistische Zeigelust. Wenn wir von der Zeigelust als einer
besonderen und normalen Realisationsstufe des Triebes nach Be-
achtung sprechen, geschieht das in der ErwäguDg, daß ihre, der
Zeigelust Befriedigung, mit dem Anspruch auftretend definitives
»Sexualziel« des Erwachsenen zu sein zwar als Perversion zu be-
werten ist, als natürliche Durchgangstation der Entwicklung indessen
beim Kind (vgl. Freud : Abhandlungen zur Sexualtheorie). Es ist
uns bekannt, daß die Untersuchung dieser emotionalen Fragen die
biologischen Probleme bevorzugt, uns indessen interessiert vorzugs-
weise die Ichbedeutung der Triebbegebenheit, speziell die Ichbedeutung
der infantilen Zeigelust. Man vermißt gemeinhin das Interesse für
diese Richtung des Problems, und doch scheint es außerordentlich
der Erwägung würdig, was überhaupt denn ein so merkwürdiges Tun,

1 Daß aber die eigene Existenz für den einzelnen fragwürdig werden kann,
bedarf allerdings noch einer genaueren Erklärung, die hier in diesem deskrip-
tiven Teü der Untersuchung nicht gegeben werden kann.
 
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