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Syrlin, Jörg; Pée, Herbert [Hrsg.]
Das Ulmer Chorgestühl: 1468 - 1474 — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 82: Stuttgart: Reclam, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.65316#0006
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Sein Nachfolger wurde bis 'Zum Jahre 1417 Ulrich von
Ensingen. Von ihm stammt die Veränderung der Halle
in eine Basilika mit herausgehobenem Mittelschiff und
das Projekt des einen riesenhaften Turms im Westen. Das
war in der Raumanordnung eine Rückwendung zum hoch-
gotischen Kathedraltypus, die der konservative Geist der
Schwaben vielleicht begrüßt haben mag. Ausschlaggebend
aber ist ein anderes. Das Wesen einer Hallenkirche, die
nach außen unter einem mächtigen Satteldach nicht viel
anders als eine gewaltige Scheune in Erscheinung tritt,
liegt in der immateriellen Wirkung eines lichtdurchflute-
ten, harmonisch ausgeglichenen Raums. Ulrich von En-
singen dagegen führte die alte Dynamik des „nach oben“
und des „nach Osten, zum Chor hin“ wieder in das
Bauwerk ein. Vor allem aber wendete er die Wirkung
des Baues durch die ragende Höhe von Turm und hoch-
getrepptem Schiff eindeutig nach außen und verlieh der
Kirche jenen demonstrativen Charakter, den der politi-
sche Sinn der Bürgerschaft sich wohl herbeigewünscht
hatte, an dem nie wieder etwas geändert wurde und der
sich für die Ulmer als so überzeugend erwies, daß er
noch im 19. Jahrhundert den Ausbau des Strebewerks,
der Chortürme und des Hauptturms beflügelte. Vom
Bauwerk selbst, diesem fast überdimensionierten Mün-
ster mit dem höchsten Kirchturm der Welt (161,3 m),
muß hier nicht weiter gesprochen werden. Es soll nur
deutlich werden, mit welchem Anspruch die Ulmer ans
Werk gingen und auf welche Weise sie die Selbsteinschät-
zung ihres Willens und ihrer Macht jedem spontan be-
greiflich und miterlebbar zu machen versuchten. Die
nach innen gewendete Halle der Parier hätte weit we-
niger dazu getaügt.

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