II. Die Arten des Porträts
1. Die bloße Form der Erscheinung als sichtbarer
W esensausdruck
In den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts beschäftigten
sich die geistreichen Leute eifrig mit einer neuen Wissenschaft,
welche der wunderliche Schweizer Lavater pflegte: der Physio-
gnomik. Von der Überzeugung ausgehend, daß sich die Seele
des Menschen in der Form seiner Gesichtsbildung ausgeprägt
zeige, wollte man die diesbezüglichen Beobachtungen in wissen-
schaftliche Normen kleiden. Zu seinem berühmten Werke,
den „Physiognomischen Fragmenten“ warb der Züricher Theo-
loge und Schriftsteller überall Mitarbeiter, die ihm ein reiches
Material an Porträts und Schattenrissen, sowie beigefügten
Charakteristiken der Dargestellten sammelten. Eine Reihe der
bedeutendsten Geister wußte er für diese Bemühungen zu
interessieren, keinen Geringeren als seinen jungen Freund Goethe
unter ihnen. Es war in jener Zeit, daß der letztere unter eine
Silhouette der ihm persönlich noch unbekannten Frau von
Stein, den besonderen Zauber dieser Persönlichkeit, vielleicht
gar die Möglichkeit seines späteren Verhältnisses zu ihr voraus-
ahnend, die Worte schrieb: „Es wäre ein herrliches Schauspiel
zu sehen, wie die Welt sich in dieser Seele spiegelt. Sie sieht
die Welt, wie sie ist und doch durch das Medium der Liebe.
So ist auch Sanftmut der allgemeine Eindruck,“ — Worte, die
er dann für Lavaters Werk mit folgender, aus den Formen des
Bildnisses herausgelesenen Charakteristik ergänzte: „Festigkeit. '
Gefälliges, unverändertes Wohnen des Gegenstandes. Behagen
in sich selbst. Liebevolle Gefälligkeit. Naivität und Güte,
selbstfließende Rede. Nachgiebige Festigkeit. Wohlwollend.
Treu bleibend. Siegt mit Netzen.“
1. Die bloße Form der Erscheinung als sichtbarer
W esensausdruck
In den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts beschäftigten
sich die geistreichen Leute eifrig mit einer neuen Wissenschaft,
welche der wunderliche Schweizer Lavater pflegte: der Physio-
gnomik. Von der Überzeugung ausgehend, daß sich die Seele
des Menschen in der Form seiner Gesichtsbildung ausgeprägt
zeige, wollte man die diesbezüglichen Beobachtungen in wissen-
schaftliche Normen kleiden. Zu seinem berühmten Werke,
den „Physiognomischen Fragmenten“ warb der Züricher Theo-
loge und Schriftsteller überall Mitarbeiter, die ihm ein reiches
Material an Porträts und Schattenrissen, sowie beigefügten
Charakteristiken der Dargestellten sammelten. Eine Reihe der
bedeutendsten Geister wußte er für diese Bemühungen zu
interessieren, keinen Geringeren als seinen jungen Freund Goethe
unter ihnen. Es war in jener Zeit, daß der letztere unter eine
Silhouette der ihm persönlich noch unbekannten Frau von
Stein, den besonderen Zauber dieser Persönlichkeit, vielleicht
gar die Möglichkeit seines späteren Verhältnisses zu ihr voraus-
ahnend, die Worte schrieb: „Es wäre ein herrliches Schauspiel
zu sehen, wie die Welt sich in dieser Seele spiegelt. Sie sieht
die Welt, wie sie ist und doch durch das Medium der Liebe.
So ist auch Sanftmut der allgemeine Eindruck,“ — Worte, die
er dann für Lavaters Werk mit folgender, aus den Formen des
Bildnisses herausgelesenen Charakteristik ergänzte: „Festigkeit. '
Gefälliges, unverändertes Wohnen des Gegenstandes. Behagen
in sich selbst. Liebevolle Gefälligkeit. Naivität und Güte,
selbstfließende Rede. Nachgiebige Festigkeit. Wohlwollend.
Treu bleibend. Siegt mit Netzen.“