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Euripides Zeuxis

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Und doch in Einem kommen beide ohne Frage mit Euripides
überein: das weibliche Geschlecht, sein Leibreiz, seine Beweglichkeit
herrscht vor. Die verglichenen Meister sind uns nur durch Nach-
richten von ihren Werken und ihrer Persönlichkeit bekannt. Letztere
tritt bei den genannten Malern ganz anders hervor als bei einem
Polygnot und Pheidias, aber die Angaben über ihre Werke sind,
wenn wir von Lukians unschätzbarer Beschreibung von Zeuxis’
Kentaurenbild absehn, sehr viel weniger ausgiebig als bei Polygnot.
Natürlich! Denn dem älteren Meister war es um bedeutenden,
grossartigen Inhalt zu tun, um Ideen, deren Darstellung er seine
Kunst lieh, und denen auch das beschreibende Wort nachgehn
konnte: die neueren beschränken sich auf geringeren Umfang
weniger Figuren; diese aber mühen sie sich, mit gesteigerten
Mitteln der Zeichnung und Farbe zu vollerer Wahrheit der Erscheinung
zu bringen. Wahrheit, veritas ist das Wort, das unsere antiken
Kunstlichter immer im Munde führen, als das Mass und Ziel, das
die Kunst im Auge hatte. Nun gibt es zwar sowohl innere wie
äussere Wahrheit, aber da die bildende Kunst alles nur durch
äussere Mittel sagen kann, gewinnt naturnotwendig, sobald ein ge-
wisser Punkt überschritten ist, der äussere Schein mehr und mehr
die Oberhand über das innere Wesen. Bedeutet das zugleich eine
Minderung des ethischen Gehalts, nun, so wissen wir ja zur Genüge,
dass das in Athen und ganz Griechenland zutraf. Spricht doch
auch eben das was wir von der Hoffart und Selbstgefälligkeit, der
Prunksucht der jüngeren Meister hören, durchaus nicht dagegen.
Wie Sophokles hatte auch Pheidias seinen Gestalten ein inten-
siveres Leben zu geben gewusst, aber was wir von Köpfen und
Gesichtern seiner Götter, Heroen und Menschen am Parthenon,
besonders am Ostfries noch zu erkennen vermögen, ist von abgeklärt
idealer Bildung, in bewusstem Gegensatz zu den abnormen, überdies
von wilder Leidenschaft verzerrten Gesichtszügen der Kentauren.
Mit den Göttern des Ostfrieses, deren Deutung ja so ziemlich fest-
steht, haben die heroischen Figuren jener schon genannten Drei-
figurenreliefs die Ausdruckslosigkeit der Köpfe gemein. Wie bei
jenen Göttern das besondere Wesen eines jeden in seiner Gesamt-
erscheinung sich ausspricht, so bei Medea, den Peliastöchtern, bei
Orpheus und Eurydike, bei Herakles, Theseus und Peirithoos in
ihrer ganzen Haltung, ihrem Tun, ihrer Bewegung, ihr wohl unter-
schiedenes Empfinden, Wollen und Schicksal. Späterer Stilent-
wickelung gegenüber dünkt uns jene seelenlose Ausdruckslosigkeit
der Gesichter ein empfindlicher Mangel. Dasselbe empfand die
 
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