16
Zeuxis Kentauren
nächste Generation, und suchte diesem Mangel an 'Wahrheit’ abzu-
helfen, zuerst, soviel wir zu erkennen vermögen, die Maler. Eben
das entnehmen wir den wenigen aber markanten Angaben, und da
es jetzt nicht das Eigentümliche der beiden Zeitgenossen und Ri-
valen, Zeuxis und Parrhasios, zu begreifen gilt, sondern das
Gemeinsame ihres Fortschritts, dürfen wir beide zusammenfassen,
Auf den ersten Blick scheint es nun freilich, als wäre es nichts
wesentlich Neues, wenn diejenigen, bei denen wir bei Zeuxis am
meisten vom Gesichtsausdruck in Stirn und Augen und Mund ver-
nehmen, wieder gerade nur Kentauren sind, dazu ihnen nicht so
fernstehende Wesen wie Triton und Boreas, denen wir unbedenklich
auch den zur Enthäutung angebundenen Marsyas anreihen dürfen. Denn
gerade der Kentaur des Zeuxis ist eben durchaus nicht eines jener
Ungeheuer des Alkamenes in Olympia und in den Parthenonsmetopen,
sondern eine ganz neue Spezies, in bürgerlich-menschliche Sphäre
sozusagen hinaufgehoben, wie Euripides die Heroen ins Gemein-
menschliche hinabdrückt. Uns wird Euripides selbst noch aus seinem
Heroenleben ein passendes Gegenbild zu diesem Kentaurenbilde
darbieten. Sonst Räuber fremder Weiber, ist dieser 'Hippokentauros’
selbst gesitteter Eheherr und Vater, und auch ohne dass Lukian
es ausdrücklich hervorhöbe, würden wir erkennen, wie der Künstler
durch Neuheit seiner Gedanken zu überraschen sucht, ganz wie
Euripides, und mit demselben Mittel: eben den Kontrast der über-
lieferten Wildheit des Kentaur en-Jägers mit der hier ihm angedich-
teten Sittigkeit, und diesen Kontrast durch die ganze Familie
durchgeführt: bei dem Manne Lächeln und Wildheit, Scherz und
Schrecken; bei dem Weibe die Schönheit ihres menschlichen Leibes
neben der Tierheit, das Nähren ihrer Zwillinge, deren einen sie als
Weib, den anderen als Stute säugt; bei den Jungen endlich, nach
Lukians eigenen Worten, 'das Wilde im Kindlichen, das Furchtbare
schon im Zarten’ rö ev tuj vpttilu öpiuuc; aypiov, Kai ev tw auaXm
pbp qpoßepov. Auch aus knapperen Angaben über andere Werke
leuchtet dasselbe Wollen hervor, so aus dem Demos des Parrhasios,
in dem der Meister eine solche Fülle von Gegensätzen vereinigt
haben sollte, dass man zuerst nur eine der bekannten epigramma-
tischen Pointen vor sich zu haben glaubt, lehrte nicht wiederum
gerade Euripides, wie wir später sehen, eine solche Darstellung-
verstehen. Der erheuchelte Wahnsinn des Odysseus, also die Mi-
schung von Klugheit und Fiktion des Gegenteils, vereinigt die
Gegensätze in einem Antlitz, während der Streit des Odysseus mit
Aias um die Waffen Achills zwei so entgegengesetzte Charaktere,
Zeuxis Kentauren
nächste Generation, und suchte diesem Mangel an 'Wahrheit’ abzu-
helfen, zuerst, soviel wir zu erkennen vermögen, die Maler. Eben
das entnehmen wir den wenigen aber markanten Angaben, und da
es jetzt nicht das Eigentümliche der beiden Zeitgenossen und Ri-
valen, Zeuxis und Parrhasios, zu begreifen gilt, sondern das
Gemeinsame ihres Fortschritts, dürfen wir beide zusammenfassen,
Auf den ersten Blick scheint es nun freilich, als wäre es nichts
wesentlich Neues, wenn diejenigen, bei denen wir bei Zeuxis am
meisten vom Gesichtsausdruck in Stirn und Augen und Mund ver-
nehmen, wieder gerade nur Kentauren sind, dazu ihnen nicht so
fernstehende Wesen wie Triton und Boreas, denen wir unbedenklich
auch den zur Enthäutung angebundenen Marsyas anreihen dürfen. Denn
gerade der Kentaur des Zeuxis ist eben durchaus nicht eines jener
Ungeheuer des Alkamenes in Olympia und in den Parthenonsmetopen,
sondern eine ganz neue Spezies, in bürgerlich-menschliche Sphäre
sozusagen hinaufgehoben, wie Euripides die Heroen ins Gemein-
menschliche hinabdrückt. Uns wird Euripides selbst noch aus seinem
Heroenleben ein passendes Gegenbild zu diesem Kentaurenbilde
darbieten. Sonst Räuber fremder Weiber, ist dieser 'Hippokentauros’
selbst gesitteter Eheherr und Vater, und auch ohne dass Lukian
es ausdrücklich hervorhöbe, würden wir erkennen, wie der Künstler
durch Neuheit seiner Gedanken zu überraschen sucht, ganz wie
Euripides, und mit demselben Mittel: eben den Kontrast der über-
lieferten Wildheit des Kentaur en-Jägers mit der hier ihm angedich-
teten Sittigkeit, und diesen Kontrast durch die ganze Familie
durchgeführt: bei dem Manne Lächeln und Wildheit, Scherz und
Schrecken; bei dem Weibe die Schönheit ihres menschlichen Leibes
neben der Tierheit, das Nähren ihrer Zwillinge, deren einen sie als
Weib, den anderen als Stute säugt; bei den Jungen endlich, nach
Lukians eigenen Worten, 'das Wilde im Kindlichen, das Furchtbare
schon im Zarten’ rö ev tuj vpttilu öpiuuc; aypiov, Kai ev tw auaXm
pbp qpoßepov. Auch aus knapperen Angaben über andere Werke
leuchtet dasselbe Wollen hervor, so aus dem Demos des Parrhasios,
in dem der Meister eine solche Fülle von Gegensätzen vereinigt
haben sollte, dass man zuerst nur eine der bekannten epigramma-
tischen Pointen vor sich zu haben glaubt, lehrte nicht wiederum
gerade Euripides, wie wir später sehen, eine solche Darstellung-
verstehen. Der erheuchelte Wahnsinn des Odysseus, also die Mi-
schung von Klugheit und Fiktion des Gegenteils, vereinigt die
Gegensätze in einem Antlitz, während der Streit des Odysseus mit
Aias um die Waffen Achills zwei so entgegengesetzte Charaktere,