Gesteigerte Seelenregung
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die Sophokles nur nebeneinander stellt, in schärfsten Gegensatz
bringt. ' Unwillkürlich denkt man daher auch ganz gesonderte
Bilder, wie Zeuxis’ Penelope, die Personifikation der Sittsamkeit in
qua pinxisse mores videtur, und Helena, das verführerischste Weib in
unverhüllter Schönheit, als Gegensätze. Ein Bild voll psychologischen
Kontrastes war aller Wahrscheinlichkeit nach auch Zeuxis’ 'Herakles-
knäblein, die Schlangen würgend, in Gegenwart seiner angsterfüllten
Mutter Alkmene und seines Vaters Amphitryon’. Denn nach son-
stigen Darstellungen in Dichtung und Bildkunst dürfen wir nicht
nur den zum Schwert greifenden Vater der zagenden Mutter gegen-
überstellen, sondern auch den bang sich abwendenden Iphikles dem
tapfern Zwillingsbruder Herakles. Kann man die innere Ähnlich-
keit mit dem Kentaurenbilde verkennen? Da ist es der junge
Löwe, der aller Augen auf sich zieht und den verschiedenen -— bei
den Jungen hier gleichen — Ausdruck erregt; in dem andern Bilde
sind es die von Hera gesandten Schlangen. In Parrhasios’ Heilung
des Telephos war ohne Zweifel die Wunderkur durch die Lanze
der psychische Erreger für die Umstehenden; bei Odysseus’ geheu-
cheltem Wahnsinn der vor den Pflug gelegte kleine Telemach; bei
Prometheus, an dem zu zweifeln nicht genügender Grund ist, war
es die Adlerqual, bei dem ausgesetzten Philoktet Wunde und Ver-
lassenheit, bei Zeuxis’ weinendem Menelaos der Schmerz um den
gemordeten Bruder. Und dass es nunmehr überall das Gesicht
war, in dem die Seelenregung sich aussprach, das beweist für
Zeuxis das Kentaurenbild, für Parrhasios das kurze Kunsturteil, das
aus vorzüglicher griechischer Quelle Plinius schöpfte, wonach er
zuerst argutias voltus, d. h. Gesichtsausdruck, oder auch Mienen-
spiel, elegantiam capilli 'Haarwurf’ und oris 'den Reiz
des Mundes’ darstellte. Legumlator genannt, weil er die Typen
der Götter und Heroen festgestellt, hat Parrhasios also die auch
uns bekannten Physiognomien jener Idealfiguren geschaffen, was
nicht ohne gründliches Studium an Lebenden möglich war. Über-
sehen wir auch das nicht, dass wie Zeuxis auch Parrhasios Kinder
mit ausgesprochener Kindernatur malte, mochte dieselbe sich im
Gegensatz zum Alter aussprechen, wie vielleicht in dem opfernden
Priester, dem ein Knabe mit Weihrauchkästchen und Kranz mini-
strierend zur Seite stand, oder in dem (griechischen) Kinde in den
Händen der thrakischen Amme, das man so gern in dem Tafelbild
der Kieler Kunsthalle wiederfände; mochte sie nur in doppelter
Gestalt sich gegenseitig illustrieren, wie in den zwei Knaben, in denen
man 'die Sorglosigkeit und die Einfalt des Kindesalters’ bewunderte.
Petersen, Die attische Tragödie. 2
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die Sophokles nur nebeneinander stellt, in schärfsten Gegensatz
bringt. ' Unwillkürlich denkt man daher auch ganz gesonderte
Bilder, wie Zeuxis’ Penelope, die Personifikation der Sittsamkeit in
qua pinxisse mores videtur, und Helena, das verführerischste Weib in
unverhüllter Schönheit, als Gegensätze. Ein Bild voll psychologischen
Kontrastes war aller Wahrscheinlichkeit nach auch Zeuxis’ 'Herakles-
knäblein, die Schlangen würgend, in Gegenwart seiner angsterfüllten
Mutter Alkmene und seines Vaters Amphitryon’. Denn nach son-
stigen Darstellungen in Dichtung und Bildkunst dürfen wir nicht
nur den zum Schwert greifenden Vater der zagenden Mutter gegen-
überstellen, sondern auch den bang sich abwendenden Iphikles dem
tapfern Zwillingsbruder Herakles. Kann man die innere Ähnlich-
keit mit dem Kentaurenbilde verkennen? Da ist es der junge
Löwe, der aller Augen auf sich zieht und den verschiedenen -— bei
den Jungen hier gleichen — Ausdruck erregt; in dem andern Bilde
sind es die von Hera gesandten Schlangen. In Parrhasios’ Heilung
des Telephos war ohne Zweifel die Wunderkur durch die Lanze
der psychische Erreger für die Umstehenden; bei Odysseus’ geheu-
cheltem Wahnsinn der vor den Pflug gelegte kleine Telemach; bei
Prometheus, an dem zu zweifeln nicht genügender Grund ist, war
es die Adlerqual, bei dem ausgesetzten Philoktet Wunde und Ver-
lassenheit, bei Zeuxis’ weinendem Menelaos der Schmerz um den
gemordeten Bruder. Und dass es nunmehr überall das Gesicht
war, in dem die Seelenregung sich aussprach, das beweist für
Zeuxis das Kentaurenbild, für Parrhasios das kurze Kunsturteil, das
aus vorzüglicher griechischer Quelle Plinius schöpfte, wonach er
zuerst argutias voltus, d. h. Gesichtsausdruck, oder auch Mienen-
spiel, elegantiam capilli 'Haarwurf’ und oris 'den Reiz
des Mundes’ darstellte. Legumlator genannt, weil er die Typen
der Götter und Heroen festgestellt, hat Parrhasios also die auch
uns bekannten Physiognomien jener Idealfiguren geschaffen, was
nicht ohne gründliches Studium an Lebenden möglich war. Über-
sehen wir auch das nicht, dass wie Zeuxis auch Parrhasios Kinder
mit ausgesprochener Kindernatur malte, mochte dieselbe sich im
Gegensatz zum Alter aussprechen, wie vielleicht in dem opfernden
Priester, dem ein Knabe mit Weihrauchkästchen und Kranz mini-
strierend zur Seite stand, oder in dem (griechischen) Kinde in den
Händen der thrakischen Amme, das man so gern in dem Tafelbild
der Kieler Kunsthalle wiederfände; mochte sie nur in doppelter
Gestalt sich gegenseitig illustrieren, wie in den zwei Knaben, in denen
man 'die Sorglosigkeit und die Einfalt des Kindesalters’ bewunderte.
Petersen, Die attische Tragödie. 2