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Dämon persönlich, unpersönlich

der Einleitung gewannen wir ja schon die Einsicht, dass die grossen
Menschendarsteller, als wahre Künstler, nicht darauf ausgingen,
ihre eigenen Meinungen auszusprechen, sondern ihre Helden und
Personen, grosse wie kleine, aus ihrer Situation, ihrem Charakter,
ja auch aus dem Geiste ihrer Zeit sprechen lassen. Sprach aus
den Helden des Aeschylus der Geist der grossen Heroenzeit, aus
denen des Euripides dagegen der Geist des Perikleischen und des
noch etwas späteren Athen, so muss sich das auch in den Äusse-
rungen über den Dämon zeigen. Und das tut es wirklich. Ja, bei
dem Ältesten und Genialsten werden wir sogar finden, dass er Grosse
und Kleine, Männer und Frauen nicht in gleicher Weise an dem
uralten Glauben vom Dämon hangen lässt.
Fassen wir vorerst den Sprachgebrauch ins Auge, der schon
von Homer anfangend sich mehr und mehr verbreitet hat, so ist
der Unterschied zwischen Dämon und Gott so verwischt, dass nicht
allein im Plural, sondern auch im Singular Dämon häufiger für
Gott gebraucht wird. Wohl zeigt sich noch eine Erinnerung des
Unterschiedes, wenn es in Sophokles Fragm. 508 heisst: weder
Götter noch Dämonen können lohnen, oder in Euripides Hekabe 163
gefragt wird, ob Dämonen oder himmlische Götter (auf der Maschine)
sich zeigen, ähnlich Med. 1391, Troer. 55. Doch könnte man an
denselben Stellen auch gerade das starke Verblassen der einst grellen
Differenz nachweisen. Der Ausgleich zeigte sich, auch das schon
bei Homer beginnend, besonders darin, dass alle Geschicke der-
selben übermenschlichen Macht zugeschrieben werden, die nun, je
nach der Art der Schickung oder der Stimmung, mit der sie auf-
genommen wird, mehr oder weniger persönlich verstanden und vor-
gestellt wird. Und zwar persönlich in zweierlei Sinn, indem das
Schicksal oder Ereignis entweder für eine Person besonders ver-
hängt, oder von einem persönlichen Wesen ausgegangen gedacht
wird. Das letztere wird ohne weiteres verständlich, wenn man die
verschiedenen Namen für jene höhere Macht nebeneinanderstellt,
Gott, Dämon, Moira, Glück, Schicksal 0eö?, baipmv poipa tuxp ttöt-
po^; und das Schwanken der Auffassung offenbart sich in der Ver-
bindung mehrerer dieser Namen, wie sie Euripides liebt. In dem
andern Sinne persönliches, d. h. auf die Person gemünztes Schicksal
setzt von selbst persönlichen Schicksalswender voraus. Beide Auf-
fassungen einen sich in dem der Tragödie besonders geläufigen
persönlichen Dämon, cmein Dämon’, worin zuerst auch der Dämon
Persönlichkeit hatte, wie bei Herakles und dem Bruder des Hesiod,
mehr und mehr jedoch in das unpersönliche Geschick überging.
 
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